Das Recht auf Vergessen

Der europäische Gerichtshof hat also Google auferlegt, ein paar Links zu entfernen. Links auf einen Fall eines spanischen Mannes, der seine finanziellen Probleme aus der Vergangenheit nicht mehr in der Öffentlichkeit haben möchte. Und was ist los? Hell freezes over! Zensur wird eingeführt! Jimmy Wales äussert sich im Atlantic tief besorgt über dieses Urteil und wie sehr es das Internet verändern könnte – ausserdem sagt er, er habe so ein Urteil eigentlich eher von einem autoritären Land erwartet…
Die deutsche Szene tobt ebenso – ein Angriff auf Google (moment, habe ich ‚Angriff’ gesagt?) wird immer noch gern gleichgesetzt mit einem Angriff auf das Web an sich usw. – und ja, auch ich habe nach den Erfahrungen der letzten Jahre Sorge, dass durch irgendeine Hintertür Zensurmechanismen eingeführt werden (im Prinzip passiert es ja auch am laufenden Band – ein neuer ‚Kodex’ des Zentralverbandes der Werbeindustrie wurde z.B. gerade still und leise eingeführt mit dem Ziel illegale Seiten ‚auszutrocknen’…).
Aber eine Sache an der Diskussion stört mich gewaltig – und übrigens ist es mir noch klarer geworden beim Lesen des Atlantic-Beitrages, weil der Autor immer wieder betont, wie schade es doch jetzt sei, dass durch dieses Urteil die finanziellen Probleme dieses Mannes gerade in der Öffentlichkeit seien, echt ärgerlich…
Also, was mich stört, ist die Ungnade gegenüber diesem Mann und seinem legitimen Anliegen, das er vorbringt stellvertretend für Millionen von Menschen, die mal ein Problem hatten und nach einer bestimmten Zeit neu anfangen wollen. Und übrigens ein Anliegen, das in unserem Rechtssystem durch das hohe Recht der informationellen Selbstbestimmung geschützt ist. Aber lasst es uns mal für einen Moment ohne das Web diskutieren – nehmen wir z.B. die Schufa. Wer schonmal erlebt hat, was es bedeutet einen Schufa-Eintrag zu haben oder jemanden kennt, dem das passiert ist weiß, dass es die Hölle ist. Man bekommt keinen Mietvertrag mehr, keinen Kredit, kein Handy, nur mit Schwierigkeiten ein Girokonto und zahlreiche andere Dinge nicht. Die Schufa wurde gezwungen, die Daten nach einer bestimmten Zeit aus ihren Registern zu löschen – übrigens ein Prinzip das unsere Gesellschaft an zahlreichen anderen Stellen ebenfalls kennt, seien es Punkte in Flensburg, Vorstrafen, Überschuldung usw. usf. Es hat etwas mit Gnade zu tun und auch mit Solidarität und natürlich Menschlichkeit. Etwa ein Viertel aller Gefangenen auf der Welt sitzen in den USA im Gefängnis, teils wegen kleiner Vergehen (mehrfach begangen) – dieses Land ist für mich auch was das anbelangt keine Referenz. Das vielzitierte „Recht auf Vergessen“ ist ein schwieriges Konzept, vielfach zu Recht verlacht z.B. wegen seiner technischen Naivität. Vielleicht brauchen wir ein anderes Konzept oder einen anderen Namen dafür. Aber ich möchte tatsächlich, dass das zutiefst menschliche Prinzip das wir gegenüber der Schufa einfordern, auch für unser heiliges Internet gelten soll. Und natürlich muss das gegen andere Rechte abgewogen werden damit keine Zensur entsteht – das ist aber nichts Neues und liegt eher im Wesen eines funktionierenden Rechtsstaates.
In dem aktuellen Fall jedenfalls habe ich viel mehr die Sorge, dass wir uns vor den Karren einer geschickt agierenden neoliberalen Ideologie spannen lassen, die sich ein System wünscht, das kein Vergessen kennt und Vergehen ohne Gnade bis ans Lebensende vorhält – u.a. auch um sie schön in irgendwelchen Risiko-Kalkulationen von Versicherungen, Banken und sonstigen Big-Data Apologeten einfliessen zu lassen.

Category: Netzpolitik, Politik 4 comments »

4 Responses to “Das Recht auf Vergessen”

  1. Stephan Hansen-Oest

    Im Hinblick auf den Einzelfall bin ich bei dir. Wenn du dir aber das Urteil durchliest (insbesondere ab Rdnr. 91 ff.), läuft es mir kalt über den Rücken. Hier wird Zensurmöglichkeiten Tür und Tor geöffnet. Grundsätzlicher Vorrang für Datenschutz vor Meinungs- und Informationsfreiheit.

    De facto ist das, was jetzt an Löschersuchen kommen wird, von Suchmaschinenbetreibern auch nicht umgesetzt werden können.

    Schlau wäre es natürlich von Google gewesen, das Suchergebnis zu löschen, um nicht so ein Urteil zu riskieren. Nun haben wir den Salat.

    Das Urteil ist jedenfalls rechtsdogmatisch nicht gerade demokratiefreundlich und in Teilen m.E. “gefährlich”.

  2. Stefan herwig

    Gute Argumentation.

    Im Gegensatz zur Schufa sind aber die Ergebnisse einer Suchmaschine für alle Beteiligten komplett einsehbar. Die *potentielle* Bloßstellung ist hier immens, meiner Meinung nach deutlich größer als bei der Schufa. und: Die Schufa hat nachvollziehbare Kriterien, wem sie einen Eintrag gibt, und wem nicht.

    Bei der Google Suchmaschine ist der Algorithmus geheim. Und Google reserviert für sich ja auch, Ergebnisse individuell zu ändern. Die Macht die Google über Personen bekäme, wenn man sie hier noch mehr privilegierte, wäre wohl zu hoch.

    Insofern halte ich das für ein SEHR weises Urteil des EUGH.

    SH

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