Algorithms welcome

Für die Weihnachtsferien hatte ich mir vorgenommen, endlich mal unser Bilder-Chaos in Ordnung zu bringen – also die mutmasslich tausenden von Digital-Fotos auf unterschiedlichsten Devices sicher abzulegen, und mit Redundanz auszustatten. Hatte ich mir übrigens auch letztes Jahr schon vorgenommen, und davor auch schon. Diesmal hat es geklappt, genaugenommen bin ich seit 3 Tagen und Nächten noch dabei, die annähernd 100.000 Fotos (kein Witz) auf 6 unterschiedlichen Laptops und aus anderen Online-Quellen zusammenzutragen, auf ein lokales NAS zu speichern, aber zugleich auch auf einen Cloud-Service, konkret Google Photos.
Ein bisschen hatte ich auch Angst vor dieser Aktion, nicht nur wegen dem vermuteten Zeitaufwand und dem Horror vor uralten Laptops und den Untiefen der Verzeichnissysteme, sowie dem Knacken bescheuerter Apple-Beschränkungen, um an die echten Files dranzukommen. Der Horror hatte auch noch eine tiefere Quelle, nämlich weil es so ein unüberwindbares Chaos zu sein schien. Hatte zwar nur mit etwa 20-30k Bildern gerechnet, aber wie sollte man in diese irgendeine Art von Ordnung und Struktur reinbringen, so dass das neue Archiv auch überhaupt irgendeinen Sinn machen würde?
Für mich ist das auch ein gutes Sinnbild des Digitalen, oder der “Digitalisierung”, wie man es jetzt so gerne nennt. Es explodiert förmlich, nicht nur weil irgendwelche Firmen es so wollen, sondern auch und vielleicht vor allem weil wir die neuen Möglichkeiten explosionsartig mehr nutzen. Man fotografiert anders heute – gleichzeitig entziehen sich die anfallenden Artefakte aber den klassischen Ordnungsprinzipien der analogen Welt immer mehr. Erst haben wir aufgegeben, Fotoalben zu machen. Dann haben wir aufgegeben, die abgespeicherten Bilder zu benennen (ist wirklich so, Bilder aus 2007 haben häufig noch sprechende Datei-Namen). Dann haben wir aufgegeben, eine bestimmte Ordner-Struktur dafür anzulegen, und zu pflegen (ungefähr ab 2009) – geholfen haben dabei aufkommende Universal-Suchmaschinen für lokale Dateien, die Ordner-Strukturen gestrig aussehen liessen. Und jetzt stehe ich hier vor einem Berg von 100.000 Fotos aus Urlauben, Kindergeburtstagen, Selfies, Besuchskindern, Geburten, Weihnachten vor und zurück, Skiurlaube, Strandurlaube…
Kuratieren wäre eine Möglichkeit, einfach mal aus dem Berg die schönsten 500 Fotos raussuchen, dabei wichtige Ereignisse nicht vergessen usw. – puh. Und dann ab jetzt schön aktuell halten.
Kurz hatte ich auch überlegt, mit viel Mühe wieder eine Ordner-Struktur einzuziehen, mit bisschen grep-Unterstützung. Verworfen.
Doch dann meldete sich Google zum ersten mal mit einem kleinen roten Sternchen im Reiter “Assistent”. Eine Reihe von Animationen und kleinen Filmchen sowie diverse Collagen aus allen hochgeladenen Bildern lag zur Ansicht bereit. Oh. Erstmal mit spitzen Fingern angesehen und…positiv überrascht. Meine Frau dazugerufen, und uns amüsiert über ein paar Beispiele – etwa 70% der Vorschläge speicherten wir gleich permanent ab. Dann kamen weitere Vorschläge rein. Zwei davon verschickten wir alten Freunden, mit denen wir vor Jahren im Urlaub waren*. Mehrere zeigte ich der Großmama, als sie heute kurz zum Kaffee reinkam. Und es kommen weitere.
Dann wollte ich mal kurz die Suche ausprobieren. Der Startbildschirm der Suche überraschte mich mit zig Kacheln, die Fotos thematisch gruppierten, der erste Block nach Orten – ok, das war zu erwarten. Doch der zweite Block hatte als Sortierungen Kategorien wie “Weihnachten”, “Berge”, “Strand”, “Sonnenuntergang”, “Motorräder” usw. zur Verfügung. Ziemlich spektaktulär, insbs. auch da ich erst vor wenigen Tagen den grossartigen CRE-Podcast zum Thema “deep learning” gehört hatte, in dem es genau um diese Technik ging.

google_photos

Unnötig zu sagen, dass Google kleine Helper für jede Art von Device anbietet, die automatisch neue Bilder reinsaugt, und die Kategorien selbstlernend sind, und ausserdem ständig wieder so nette kleine Nachrichten eintrudeln, dass wieder neue Vorschläge des Assistenten vorliegen…
Ach, und natürlich Face-Recognition! Die ist zwar in Europa per default abgeschaltet, aber ein kleiner VPN-Tunnel Trick genügt, und schon ist auch dieses Feature aktiv. Super praktisch und erstaunlich treffsicher.
Google kann jetzt also für mich beantworten, wann meine Tochter einen Strandurlaub hatte, und bei welchem Weihnachtsfest meine Mutter dabei war. Nur für mich? Ok, das war jetzt bemüht reingearbeitet, stimmts? Weil diese Creepieness sich meiner Ansicht nach hier gar nicht so aufdrängt, es ist einfach super-praktisch und wirklich ziemlich magic, was die Algorithmen da so für mich tun. Und dennoch _ist_ es verdammt creepy…
Also stelle ich mir diese Frage:
Kann es sein, dass wir mit der Digitalisierung tatsächlich unausweichlich unsere Belastungsgrenze in Sachen Creepieness verschieben werden? Es schon lang tun? Dass Digitalisierung überdies gar nicht anders geht, als mit der Hilfe von Algorithmen? Wir das vielleicht bald schon stinknormal finden werden, genauso wie es uns komisch vorkäme, eine viel befahrene Kreuzung mit was anderem als Ampeln zu regeln? Und, falls die Antwort ja sein sollte – für das Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber den Algorithmen wäre das schon harter Stoff, wenn es bald schon gar nicht mehr denkbar ist, ohne sie voranzukommen. Also praktisch der Tag, an dem BMW das erste Modell rausbringt, das den Knopf für spontanes “self driving” nicht mehr enthält…
Und rational – für die Diskussion um Regulierung von Algorithmen und Datenschutz im Zeitalter von Big-Data hätte es auch gravierende Konsequenzen wenn man tatsächlich von einem “neuen Spiel” sprechen müsste und nicht von einer graduellen Anpassung der Spielregeln.
Ich bin allerdings nicht sicher – schon alleine weil dieses Narrativ von einigen Playern auf dem Spielfeld zu sehr gewollt daherkommt. Und auch weil es deutliche Anzeichnen für negative Seiteneffekte der Digitalisierung jetzt schon gibt. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob es nicht gruseliger wäre, dieser Konsequenz der Digitalisierung mit einer Ignoranz gegenüber dem Ausmaß der tatsächlichen Effekte zu begegnen.

*ein Kommentar dazu war übrigens “wusste gar nicht, dass es dieses Material überhaupt gab”. Gab es auch nicht, denn der verschickte Kurzfilm war von Google selbstgesteuert aus einer Reihe von normalen Fotos zusammengesetzt und mit Musik unterlegt worden…

Category: Netzpolitik, Politik 4 comments »

4 Responses to “Algorithms welcome”

  1. Pausanias

    Die Verschiebung der Creepiness findet statt. Auf der #rp12 glaube ich gab es noch welche, die Anstecknadeln mit Buttons verteilt haben, die von Software auf Fotos erkannt werden sollten, und die Gesichter von allen, die so einen Button tragen, sollten automatisch auf Fotos unkenntlich gemacht werden. Das war auch das Jahr, wo wir alle peinlich darauf geachtet haben, dass unsere eigenen Gesichter bei Twitter nicht zu sehen sein werden, Millionen Kaffeetassenavatare sind damals entstanden und solche, wo wie zufällig eine Hand unsere Gesichter verdeckt.

    Ich glaube, es war erst 2014, als plötzlich die Selfies über und hereinbrachen. Wir haben gemerkt, dass unsere Gesicht im Internet nicht nur nicht gefährlich ist, sondern ausgesprochen erwünscht – und wir haben gleichzeitig und wie von selbst gelernt, dass wir Fotos von Dritten nur mit deren Einverständnis posten. Und zwar nur, wenn diese Dritten auch in der Lage sind, über ihr Bild zu entscheiden, von meinen Kindern gibt es immer noch keine Bilder mit Gesicht im Netz. In wenigen Jahren Social Media haben sich wie von selbst Konventionen entwickelt, die sich wie von selbst wandeln.

    Dabei sind Erfahrungen erheblich prägender als annahmebasierte Laborthesen.

    Wenn wir von “dem” Datenschutz, also dem “Schutz” “DER” “Daten” gesprochen haben, war unsere Kenntnis der Verschiedenartigkeit “unserer” Daten viel zu grobschlächtig. Mein eigenes Gesicht bei FB finde ich völlig ok, das meiner Söhne nicht, bei meiner Frau Frage ich vorher nach. Eigentlich simpel, aber 2012 haben wir nur allgemein von Gesichtern im Internet gesprochen.

    Interessant ist übrigens auch die Visualisierung von Location-Daten, die Google anbietet. Erster Impuls bei mir war: Huch!! Wie creepy! Aber schon nach fünf Minuten begann ich großes Interesse und Spaß dabei zu entwickeln, mir anzusehen, wo ich überall war in den letzten Jahren. Ich hätte die Daten löschen können, aber sie waren mir für mich selbst und nur zum Spielen zu wertvoll.

    Es ist Neuland, darum vermuten wir hinter jeder Ecke ein gefährliches wildes Tier, aber viele Tiere, die wir vorfinden, sind ganz zahm, auch wenn sie vielleicht trotzdem irgendwo noch Krallen haben.

  2. Falko

    Ich glaube das dies ein ganz normaler Vorgang ist. Schauen wir in die Vergangenheit ist das schon öfter so passiert. Noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts konnten sich die Leute nicht vorstellen schneller als 30km/h zu reisen und fürchteten sich vor großen Geschwindigkeiten. Heute sausen wir alle mit mehr als 100km/h durch die Gegend.
    Elektrischer Strom war mich Sicherheit über-creepy anfangs. Man kann ihn weder sehen, noch riechen, noch anfassen aber er kann magische Dinge bewirken. Ziehmlich fix wurden dann große Teile der Welt elektrifiziert. Oder Autos. Kaum jemand versteht heutzutage mehr wie Verbrennungsmotoren genau funktionieren, geschweige denn repariert. Trotzdem vertrauen wir jeden Tag blind darauf das uns die Dinger nicht um die Ohren fliegen.

    Kurz, wenn einem Dinge Sachen abnehmen, Dinge vereinfachen, neue Möglichkeiten eröffnen ohne uns in unmittelbare Gefahr zu bringen, dann werden wir sie akzeptieren. Klar wird es wie bei allem anfängliche Skepsis und Buh-Rufe geben. Aber irgendwann siegt die Bequemlichkeit. Und dann verschieben sich ggf. auch Einsichten. Man wird es ggf. nahezu absurd finden, das es Menschen erlaubt war Automobile selbst zu steuern. Man denke nur an all die Verkehrstoten die jedes Jahr auf das Konto von selbst steuernden Menschen gehen.
    Die Menschen finden sich ziemlich schnell damit ab, das sie Dinge nutzen die sie nicht einmal im Ansatz verstehen. Natürlich gibt das zu Anfang niemand zu, aber dennoch wird es so kommen. Zeige mir z.B. mal jemanden der versteht wie ein ABS-Bremssystem im Auto funktioniert ;)

  3. Johnny Marrapese

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