Category: Schule


Warum eben doch alle programmieren lernen sollten – und was “alle” dabei genau heisst.

April 17th, 2017 — 4:31pm

Natürlich müssen nicht alle jetzt programmieren lernen. Leute, die das so oder in ähnlicher Weise kolportieren haben aber auch nur wenig von dieser Diskussion verstanden. Fairerweise muss ich zugeben, dass ich auch lange von dieser immer wieder vorgetragenen Forderung genervt war, aber mittlerweile hat sich das geändert – aus mehreren Gründen.
Der Einwand stimmt zunächst auf der banalsten Ebene nicht, denn kaum jemand fordert überhaupt ernsthaft SchülerInnen landauf, landab sollten jetzt per default Programmieren lernen – einfach um des Programmierens willen. Oder weil so viele ProgrammiererInnen benötigt werden (von der bösen I N D U S T R I E !!!).
Alle Bildungsleute, die das irgendwie fordern, meinen üblicherweise etwas anderes, und es ist schlicht Unsinn, die Forderung auf dieser Ebene aushebeln zu wollen (sorry Sascha).
Oft wird die Forderung auch eingebettet in das Konzept der “digital literacy” oder eben in eine weitere Konzeption rund um ein Schulfach “Computer Science” oder “Digitalkunde” oder eben auch einfach “Informatik”.
Programmieren hat in dem Zusammenhang eine Reihe von Funktionen, von denen ich einfach mal zwei hervorheben will.
Zum einen dringt man mit dem Programmieren am schnellsten dorthin vor, wo die digitale Revolution/Transformation zusammengehalten wird – beim Code. Egal ober der nun “law” ist oder einfach nur Normen der alten Welt ersetzt, wenn z.b. Roboter oder KI-Systeme programmiert werden. Um beurteilen zu können, ob ein Pre-Crime Algorithmus rassistisch agiert oder ein Service-Roboter nach ethnischen Kriterien Tee ausschenkt, ist es einfach hilfreich erstmal im Kern zu verstehen, wie diese funktionieren. Also dass dort Code zum Einsatz kommt. Dass dieser von Menschen (zumindest bis heute) geschrieben wurde. Dass dem bestimmte Modellierungs-Schritte zugrundeliegen, und dabei auch viele Annahmen und Mikro-Entscheidungen eingebaut wurden. All das lernt man eben, wenn man kleine Sachen selbst programmiert am besten. Also z.B. einen Mathe-Trainer, der auf Sprache reagiert und Süssigkeiten für richtige Lösungen ausgibt*. Programmieren lernen heisst in dem Zusammenhang ein Verständnis für den Code zu vermitteln – und zwar den kulturellen, den Meta-Code sozusagen, also die Art wie soziale Zusammenhänge dort einfliessen und welche Entscheidungen dabei prä-modelliert werden. In den Tee-Roboter kann man/frau dann z.B. einfach mal reinschauen und prüfen, welche Datenquellen er heranzieht. Oder ihn experimentell untersuchen – weil man eine gute Idee hat, wie das Ding vermutlich intern funktioniert. Oder man kann schauen, ob das Ding Open-Source ist – vielleicht weil man in der Schule mit Open-Source Materialien gross geworden ist und eben das Konzept von klein an eingeatmet hat, dass häufig ein Code irgendwo drin werkelt und es spannend sein kann, sich diesen mal anzusehen. Ich glaube wirklich, dass das für zukünftige Generationen genau das gleiche sein wird, wie in unserer Schulzeit Botschaften von Print-Medien im Deutsch-Unterricht dekodiert (sic!) wurden oder eben Collagen aus Werbe-Sprüchen in Kunst erstellt werden mussten.
Die Forderung Programmieren zu lernen hat in dem Zusammenhang also praktisch gar nichts mit dem Heranziehen von ProgrammiererInnen zu tun – sondern vielmehr mit der Grundausbildung von sourveränen TeilnehmerInnen einer zukünftigen Zivilgesellschaft, die sehr viel stärker noch als heute von Code geprägt sein wird. Und wir sollten uns klar machen, dass Kinder, die heute eingeschult werden am Ende Ihrer Schulzeit in eine Welt starten werden, die in krasser Weise von digitaler Technik durchwirkt sein wird – was also heute wie die Spezialbeschäftigung mit einem Randthema erscheint, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit in 15 Jahren eine ganz andere Dimension haben – einfach weil z.B. alles immer und überall von Sensoren und Code und Kameras und Algorithmen umgeben sein wird, und verdammt viel davon abhängen wird, wie souverän man/frau sich darin bewegen kann.
Der zweite Aspekt der Programmieren im Zusammenhang mit Digitalerziehung so wichtig macht, ist die Motivation. Es macht Kindern (und Erwachsenen natürlich auch) einfach unglaublich viel Spass, das Ruder in die Hand zu nehmen und wirklich was zu programmieren. Die Erfolgserlebnisse des ersten lauffähigen Programmes kann meist jede/r erinnern, der/die das schonmal erfahren hat**. Und es ist immer wieder inspirierend SchülerInnen dabei zu beobachten, wenn ihnen das erstmals gelingt, oder wenn sie später ihre erste knackigere Aufgabe selbst gelöst haben. Programmieren ist die tollste Art, sich mit dem Digitalen auseinanderzusetzen, viel toller als jede Art von Medienerziehung und Auflisten von Gefahren aus dem Internet usw. Das mag sich zwar nach einer Banalität anhören – für die pädagogische Frage wie man Kinder fit fürs digitale Zeitalter machen kann ist das aber von grosser Bedeutung – denn mit dem Programmieren haben wir offenbar einen Schlüssel, um an viel Motivation ranzukommen, gleichzeitig entstehen viele Momente der Selbstwirksamkeit – meiner Ansicht nach eine der schönsten Sachen, die Bildung und Schule hervorbringen können.
Zusammengefasst: Programmieren ist wichtig, weil es mit viel Spass und Selbstmotivation einen tiefen Zugang zur digitalen Sphäre ermöglicht.
Und jetzt noch zu Frage warum “alle”, bzw. was das genau bedeutet im Zusammenhang mit einem Bildungs-System. Denn interessanterweise wird dieses “alle” immer wieder sehr schnell infrage gestellt, zuletzt z.B. im gerade ausgestrahlten Bildungs-Diskurs im Deutschlandradio von Christian Füller, der sonst nicht gerade für neoliberale Positionen in Bezug aufs Bildungs-System bekannt ist. Dennoch redet er – wie praktisch alle anderen TeilnehmerInnen der Debatte – einem Konzept der Schulbefähigung das Wort, also der Idee Schulen einfach Autonomie und Geld zu geben, damit sie das Problem selbst in die Hand nehmen können. Ich halte das für sehr gefährlich und auch ziemlich falsch. Denn damit wird eine riesige Qualität des Bildungs-Systems verspielt, die gerade in der Begleitung der digitalen Transformation so wichtig wäre. Es heisst nämlich deshalb Bildungs-“System”, weil es ein systematischer, flächendeckender Ansatz ist, der qua definition _alle_ Kinder erreicht. In Deutschland wird man sogar von der Polizei zur Schule gebracht, wenn die Eltern das nicht hinbekommen. Dieses “alle” ist mir wichtig, denn ich glaube der Anspruch sollte sein, dass tatsächlich alle Kinder einen Zugang zu digital literacy bekommen – auch dann, wenn sie in einer strukturschwachen Region wohnen, ignorante Eltern haben und es leider auch weder einen Förderverein noch zufällig einen engagierte/n LehrerIn gibt. Für die digitale Bildung (aber auch jegliche andere) heisst das: Es muss gelingen, das System zu überzeugen und in ein flächendeckendes sowie obligatorisches Angebot zu münden. Nur so ist Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu realisieren (und ja, um da wirklich hinzukommen sind noch diverse andere Dinge in diesem System zu fixen, aber das würde hier zu weit führen). Der Ansatz Schulen einfach machen zu lassen kann in dem Zusammenhang nur dann funktionieren, wenn er eingebettet ist in eine entsprechende Entscheidung des Systems als Ganzem (also z.B. die Aufnahme von Programmieren in einen obligatorischen Medienpass in NRW, um mal ein Beispiel zu nennen). Ach ja – obligatorisch ist dabei natürlich auch wichtig – zum einen weil nur so eine systematische Versorgung entsteht. Ausserdem weil die Versorgungslücken wie meist nicht zufällig verlaufen, sondern z.B. entlang von Geschlechtergrenzen. Ein freiwilliges AG-Angebot “Programmieren” oder “Elektro-Basteln” in der Grundschule wird immer mehrheitlich von Jungen besucht werden. Bei einem obligatorischen Angebot entsteht das Problem gar nicht erst.

Also: Ja, tatsächlich sollten alle SchülerInnen in Deutschland programmieren lernen, so schnell und flächendeckend wie möglich.

*dabei habe ich übrigens gelernt, dass das eingesetzte Sprach-System (Open-Sphinx) Kinder deutlich schlechter versteht als Erwachsene. Das ist ein interessanter Design-Bias denn das System sollte eigentlich von solchen Faktoren unabhängig funktionieren.

**alle die sich jetzt sagten “ja, stimmt – das war geil” bitte mal kurz innehalten und überlegen: warum eigentlich? Ich glaube nämlich, dass es mehr ist als nur der “mastery-effekt”, also die Tatsache, dass man etwas geschafft hat worauf man hingearbeitet hat. Es ist doch eher so, als hätte man etwas geknackt was ein grosses Tor zu weiterem öffnet oder eben Magie ausstrahlt.

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Leise digitale Zweifel

March 28th, 2016 — 3:26pm

Kürzlich war meine Frau auf einem Psychotherapeuten-Kongress, und ich Begleitpersonal. Die meiste Zeit schob ich also das Baby durch die schöne Stadt Leipzig – da wir vergessen hatten Bücher fürs Kind mit einzupacken, schaute ich auch in einer netten Buchhandlung vorbei, und erwarb ein paar Kinderbücher. Das Kind ist derzeit sehr affin für Schiebetechnik und Anfassbücher.
Bei einem Vortrag aus dem Programm des Kongresses wollte ich aber unbedingt dabei sein, und zwar dem von Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin, Gender-Forscherin und Filmemacherin aus Berlin. Mir war relativ egal worüber sie genau sprechen würde, denn ich habe einen Vortrag von ihr, der etwa 20 Jahre zurückliegen dürfte, als einen der inspirierendsten in Erinnerung, den ich je gehört habe. Also habe ich mich in den Kongress hineingeschummelt und hörte ihr zu – mit Baby auf dem Arm und später dann krabbelnd auf dem Boden (beide).
Der Vortrag von Christina von Braun war zum Thema “Vatersprache – Muttersprache – Alphabet” – es ging dabei um die Frage, inwiefern das Alphabet selbst historisch konnotiert ist, und insbs. geschlechtsspezifische Prägungen mit-transportiert – wo ja gemeinhin auch in der Forschung gerne mit der Annahme gearbeitet wird, die Buchstaben seien abstrakte Symbole ohne nähere Bedeutung. Der Vortrag war wieder absolut faszinierend. Fast spielerisch konnte sie darlegen, wie sehr die Einführung des griechischen Alphabetes vor etwa 3000 Jahren mit zwei anderen gesellschaftlichen Umbrüchen verbunden war – zum einen der zunehmenden Ökonomisierung (Schrift wurde überhaupt anfänglich vor allem für Zwecke der Buchhaltung entwickelt), zum anderen einem Umbruch vom matriarchalen vom patriarchalen System, einhergehend mit der Ablösung einer eher oralen Erinnerungskultur durch die schriftsprachliche. Das kann man in die verschiedensten Verästelungen nachvollziehen, z.B. in der Ordnung der Buchstaben, der Bedeutung des Buchstabens “A” (steht für Ochse, männliche Fruchtbarkeit etc. – aber auch graphisch verwandt mit diversen späteren Währungs-Symbolen, von den Viechern vor der Wallstreet mal ganz zu schweigen), aber auch darin, dass generell in der Kulturgeschichte bis heute seitdem eine Annahme kultiviert wird, die dem weiblichen eher das körperliche, und dem männlichen eher das geistige zuspricht (verbunden mit der Sprache und der Schrift). Teilweise übrigens ganz physisch zu verstehen wenn nur den Männern der Zugang zu Kultschriften gewährt wurde. Ich kann das hier nur dilletantisch wiedergeben, aber es gibt einen gut lesbaren 10-seitigen Text auf Ihrer Homepage, der das Thema gut darlegt.
Wieder zurück im Hotelzimmer führte ich meiner 9-monate alten Tochter die neu erworbenen Bilderbücher vor. Auf eines davon war ich besonders gespannt, denn es war ein sog. Sound-Buch mit eingebautem Mikrocontroller und Soundausgabe. Es heisst “hörst du die Vögel” und bietet ein paar Vogel-Bilder mit jeweils einem kleinen Touch-Punkt, bei dessen Berührung der zugehörige Vogel-Sound abgespielt wird. Sie liebt Bücher, insofern machte sie sich direkt darüber her. Spannend war aber ihre Reaktion auf das “interaktive Feature”. Sie reagierte irgendwie verwundert, fast respektvoll und weigerte sich standhaft den Punkt zu berühren. Noch tagelang ging das so, oft tat sie sogar so, als würde sie den Punkt berühren und tippte daneben…

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Die Digitalisierung. Ich gehöre ja auch zu den Apologeten einer stärkeren Umarmung derselben – egal ob im eigenen Leben, in der Schule, bei der Arbeit oder z.B. bei der Partei-Arbeit. Ich glaube, wir können die digitalen Mittel zum Besseren nutzen und sollten unsere Kinder so gut wie möglich auf eine Welt vorbereiten, in der sie überall von digitalen Dingen umgeben sein werden. Dazu gehört idealerweise auch ein Einblick in Code und wie dieser funktioniert, klar. Ich denke zwar nicht, dass jede/r programmieren können sollte, allerdings bin ich tatsächlich davon überzeugt, dass in naher Zukunft Code tatsächlich law sein wird und ein Fortbestand der Zivilgesellschaft auch davon abhängen wird, wie gut wir Code beherrschen werden. Bisweilen wird in dem Zusammenhang ja sogar die Forderung laut, Programmieren solle wie eine weitere Fremdsprache verpflichtend gelernt werden.
Eine neue Sprache…was sagte Christina von Braun in Leipzig nochmal? Sprache ist immer auch gesellschaftlicher Kontext, sie transportiert und festigt genderspezifische Strukturen, teilweise so subtil, dass es uns gar nicht als Setzung auffällt, obwohl die prägende Kraft durch das Herabsinken ins Unbewusste eher noch stärker wird.
Wir propagieren also die Einführung einer neuen Sprache – oder sogar mehr? In einer Reaktion auf meinen gestrigen Artikel zur Notwendigkeit eines digitalen Schulfaches spricht der Bildungspolitiker Richard Ralfs sogar von einer “zweiten kopernikanischen Wende” und einer neuen Dimension der Aufklärung durch die Digitalisierung.
Tatsächlich könnte es um mehr als nur eine neue Sprache gehen. Digitalisier*ung beinhaltet ja bereits die Umwandlung, also nicht nur eine neue Beschreibung der Welt, sondern eine Umwandlung, aus dem Analogen wird ein Digitales. Und aus der oralen Überlieferung eine…digitale.
Zurück zum Bilderbuch. War es vielleicht ein Schauer, der meine Tochter innehalten liess, vor dem Bedienen der digitalen Funktion? Denn tatsächlich hat die Hinterlegung mit digitalen Vogelstimmen nebst Elektronik zur Touch-Auslösung ja etwas perverses – denn ohne dies hätte ich erzählt, was für ein Vogel das ist und sicherlich versucht, das Piepen nachzumachen – ich als Papa, mit meiner eigenen Stimme, mit viel Raum zur Imagination. Stattdessen der perfekt digitalisierte Sound eines Kuckuck, jedesmal exakt gleich, in jeder Kopie des “Buches” irgendwo auf der Welt. Vielleicht wirklich ein passendes Bild dafür, wie das Digitale die Welt auffrisst und zurückverwandelt, nur dass es dann eine standardisierte Simulation ist, mit der wir uns abfinden müssen.
Ich weiss, der Gedankengang wirkt ein bisschen verwegen, ich kann auch damit leben, wenn viele dem nicht folgen können.
Wendet Euch der Digitalisierung zu, umarmt sie. Einer der stärksten Kämpfer für diesen Glauben ist ja Google..äh… Alphabet…? Oh.
Ich denke es lohnt einmal genauer hinzusehen, bevor wir diese Forderung immer wieder runterleiern. Welches Geschlechterverhältnis reproduziert die digitale Sprache? Gibt es gute Anhaltspunkte dafür, dass die digitale Sphäre wenigstens tendentiell ein weniger männerdominiertes Rollenbild transportieren wird? Wie ist das auf Tech-Konferenzen, in den Führungsetagen der Digital-Konzerne und in den digitalen Medien? Müssten wir – wissend aus welchem Schlamassel wir kommen – uns nicht sogar aktiv darum bemühen, dass die digitale Sphäre von einer feministischen Art des Codens geprägt wird, wenn wir das schon für so unvermeidlich halten (was ich tue)?
Ich bin auch kein Gender-Forscher, doch wenn ich mir Programmier-Bücher so ansehe, so ist da viel von “Kontrollstrukturen”, “Variablen-Zuweisung” und generell viel von vermeintlich harter Logik (if this, while true etc.) die Rede. Generell wohnt dem Programmieren die Idee einer Abbildbarkeit der Wirklichkeit in solchen Strukturen inne, zunehmend auch die der Reproduzierbarkeit von Wirklichkeit und Erleben.
Mich besorgt das sehr. Ich habe einfach keinen Bock für die Einführung eines neuen Systems mit geworben zu haben, das am Ende eine noch weniger gerechte und offene Gesellschaft etablieren hilft, als wir sie schon haben. Vielmehr würde ich gerne die Chance genützt sehen, dass wir wohl wirklich an so einer Zeitenwende stehen, wie die griechische Gesellschaft vor 3000 Jahren.
Damals wurde das Patriarchat und die Herrschaft der Ökonomie über die Lebensverhältnisse eingezogen. Können wir diesmal bitte etwas anderes ausprobieren?

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Ihre Tochter kann jetzt mit Füller schreiben

May 10th, 2015 — 11:10am

Raul Krauthausen hat zur re:publica ein tolles Interview zum Thema „Inklusion für alle“ gegeben (ich glaube der talk dazu war auch super, nur noch nicht angesehen).
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=QTsRvHNOoHA[/youtube]
Was mich daran so bewegt hat, sind zwei Dinge. Zum einen die Tatsache, dass es diese utopisch erscheinende Idee der inklusiven Schule für alle tatsächlich schon gibt, nicht in der Theorie oder in uninahen Forschungs-Schulen, sondern in der ganz alltäglichen Grundschule – nämlich dort, wo meine Tochter hingeht. Na gut, es ist eine neu gegründete Grundschule mit einem sehr engagierten Team und einem exzellenten Direktor. Aber dennoch – eine normale Grundschule um die Ecke. Wie weit die Inklusions-Idee dort geht, wurde mir klar, als vor ein paar Wochen die Lehrerin meiner Tochter auf mich zukam und sagte: Ihr Kind kann jetzt mit Füller schreiben – vielleicht gehen Sie heute nachmittag mit Ihr in den Schreibwarenladen und lassen sie einen aussuchen, der ihr gefällt.
Ich erinnere mich noch ganz gut, wann ich mit dem Füller anfangen durfte. Das war nämlich mit dem Beginn der zweiten Klasse. Für alle. An der Schule meiner Tochter gibt es überhaupt keinen festgelegten Zeitpunkt dafür, denn die Entscheidung ob ein Kind reif ist für das neue Schreibgerät wird komplett individuell getroffen anhand von einer ganzen Reihe von Parametern und Einschätzungen. Was auch bedeutet, dass jedes Kind sich individuell an diesen Punkt heranentwickeln kann, in seinem eigenen Tempo und mit der ihm passenden Schwerpunktsetzung. Denn vielleicht ist es ja schneller mit dem kleinen Einmaleins als im Schreiben. Das faszinierende daran ist, dass so etwas tatsächlich funktionieren kann an einer normalen Schule, in diesem Fall eine Inklusions-Schule mit MINT-Schwerpunkt. Denn es erfordert ja einen ungleich höheren Aufwand für die LehrerInnen das Lernen individuell zu organisieren und zu koordinieren. Aber es ist natürlich grossartig, dass so etwas geht (und übrigens nicht nur für die Füller-Entscheidung – der ganze Lehrplann ist dort nach dem Prinzip organisiert). Und es hat noch eine Konsequenz – und da bin ich wieder bei Raul’s Interview: in dem Moment wo Schule so arbeitet, sind alle inklusionsbedürftig, egal ob hoch oder tiefbegabt, eingeschränkt oder besonders leistungsstark – die Anpassung von Lerninhalten und Geschwindigkeit ist der Standard und insofern ist es überhaupt nichts besonderes mehr, wenn bestimmte Kindern ein eigenes Tempo benötigen – alle arbeiten nach einem eigenen Tempo.
Damit fördert die Schule im innersten Kern Diversität und Toleranz – ohne den Bildungsanspruch aufzugeben (eher im Gegenteil). Wie toll ist das.
Zugegeben – das gilt sicherlich noch nicht für alle Schulen und ich habe die Befürchtung, dass es auf bestimmten Schulformen wie z.B. (und insbesondere) dem Gymnasium tatsächlich noch eine weit entfernt liegende Utopie ist, so ein individuelles Lernen (und Lehren) einzuführen. Aber ich finde es sehr inspirierend, dass es offenbar tatsächlich geht.
Denn damit – und das ist der zweite Punkt, der mich bewegt – bedeutet Inklusion nicht mehr „Leute mit Behinderung irgendwie unterbringen“, sondern „alle sind behindert…und befähigt, jede/r auf seine Weise“. Wie schön wäre das, wenn Schule in Deutschland generell nach diesem Modell funktionieren würde. Und wenn wir – wie Raul es in dem Interview oben skizziert – den Umgang mit Behinderung im Alltag auch nach diesem Diversitäts-Prinzip hinbekämen, anstatt immer nur Defizite ausgleichen zu wollen. Raul ist schonmal Klippo.

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Elektro-Basteln mit Grundschülern – Stufe 2 mit Mikro-Controller “Thekla”

March 21st, 2015 — 3:23pm

Da es bei der ganzen Elektro-Bastelei ja um das Ziel “Vermittlung digitaler Fertigkeiten” gehen soll, fehlte natürlich noch ein bisschen digitales, konkret Computer und Programmierung.
Habe mir Gedanken gemacht, wie man das mit GrundschülerInnen hinbekommen könnte, und dabei den Prinzipien der Elektro-AG treu bleiben kann. Herausgekommen ist Thekla, der Mikro-Controller mit kinderfreundlichen Krokodilklemmen anstelle von Lötkontakten:
thekla

Thekla basiert auf dem Adafruit Gemma Board, das man für wenige Euro bei diversen Händlern bestellen kann. Gemma ist für Wearables konzipiert und kann auch gut eingenäht werden. Es ist überdies ein Arduino-kompatibler Mikro-Controller, d.h. ein kleiner Computer, der ein Stück Code permanent ausführt (siehe unten in der Sektion “loop”) und dabei verschiedene Dinge tun kann, u.a. auch an seinen Kontakten Strom messen sowie ausgeben (um z.B. eine LED zu schalten). Die Schaltung unten misst z.B. den Strom an Pin 1 (“sensor”), dieser wird über eine Licht-Zelle vermittelt und schwankt daher mit der Intensität des Lichtes. Damit das gut messbar ist, muss ein Spannungsteiler eingebaut werden mit einem zusätzlichen Widerstand, der gegen “Ground” geschaltet wird. Der Spannungsteiler ist eine wichtige Basis-Schaltung in der Elektronik mit der Spannungen reduziert werden können – indem hier ein kleinerer Teil der Spannung durch die Lichtzelle geht kann deren Ausschlag besser gemessen werden.

//Thekla - LED Steuerung mit Licht
int led = 0; //die LED hängt an PIN 0
int sensor = 1; //der Sensor (Lichtzelle) an PIN 1
int pause; //Variable für Wartezeit der Blinksequenz

void setup() {
pinMode(led, OUTPUT); //LED PIN wird konfiguriert
}

//der folgende Programmblock läuft in einer ständigen Schleife
void loop() {
int light = analogRead(sensor); //Lichtzelle auslesen
pause = light/2; //Pause aus Sensordatum berechnen
digitalWrite(led, HIGH); //LED anschalten
delay(pause); //warten
digitalWrite(led, LOW); //LED ausschalten
delay(pause); //warten
}

Hier im Einsatz:
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=6lxkKTFKq9U[/youtube]

Wenn Ihr das selbst ausprobieren wollt, könnt Ihr einfach Gemma “naked” kaufen, z.B. hier bei Tinkersoup. Man kann mit dem Kupfer-Klebeband auch direkt an die Pads von Gemma kleben, die Krokodilklemmen oben sollen es nur einfacher und robuster machen (die von mir verwendeten gibts bei Conrad, die sind schön klein). Die Lichtzelle gibts auch bei Tinkersoup, ebenso den benötigten 1K-Ohm Widerstand.
Vielleicht sind die Leute von Tinkersoup ja sogar bereit das ebenfalls als Set anzubieten, mal schauen.
Ich werde jedenfalls “Thekla” noch ein wenig weiterentwickeln, evtl. wird daraus ein eigenes Board mit diesen Klemmen. Wäre auch schön Feedback von Euren Erfahrungen dazu zu bekommen sowie ggf. Anregungen. Wir (der Grundschuldirektor vom letzten Post und ich) werden das Set auf dem Informatik-Tag in Aachen Grundschul-LehrerInnen in der Ausbildung vorstellen und auch damit rum-experimentieren.

Ach – dabei soll es ja auch darum gehen die Kids ans Programmieren heranzuführen. Was dabei keinesfalls fehlen darf ist das grandiose Scratch, die kinderfreundliche graphische Programmier-Umgebung, die am MIT entwickelt wurde, und eine grosse Entwicklergemeinde weltweit begeistert. Scratch ist kostenlos zu haben, auch auf deutsch. Und es kommt noch besser – ein paar verrückte Spanier haben mit Scratch for Arduino eine Variante herausgebracht, die sogar mit einem angeschlossenen Arduino-Board kommunizieren kann (es sollte ein Arduino Uno sein) – so kann man “echte” elektronische Komponenten, Sensoren, Motoren, Servos mit Elementen innerhalb von Scratch verbinden, z.B. indem man ein Spiel programmiert, das physische Interaktion von aussen benötigt, oder sonstwie auf irgendwas reagiert. Und Scratch ist wirklich eine hervorragende Möglichkeit, um ins Programmieren einzusteigen – es gibt Schleifen, Variablen, Objekteigentschaften, Events usw. – aber alles mit schönen graphischen Elementen und sehr kinderfreundlich umgesetzt. Probiert es einfach mal aus.
Hier zum Schluss ein Screenshot meines ersten kleinen Scratch 4 Arduino Programms (auch für Montag). Eine Biene schwirrt über den Bildschirm (rechts im Bild) und bleibt stehen, wenn der Finger auf eine Lichtzelle am angeschlossenen Arduino gelegt wird (nicht im Bild). Man muss also versuchen, die Biene auf dem Honiglöffel stoppen zu lassen. Der gesamte Programmcode dafür ist in der Mitte zu sehen.
scratch

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Elektro-Basteln mit Grundschulkindern: Erfahrungen, Anleitung und Material-Liste

March 15th, 2015 — 9:08pm

Zusammen mit Pausanias und dem Direktor der Grundschule meiner kleinsten Tochter, haben wir jetzt schon zum zweiten Mal die Elektro-AG durchgeführt. Die Idee ist Kinder schon im Grundschulalter an Elektronik heranzuführen, und das dann sanft mit mehr “informatischen” Inhalten anzureichern, also z.B. einen Arduino dazuzunehmen, der z.B. mit Scratch programmiert werden kann (das wäre dann der “Aufbaukurs” für 3-4. Klasse).
Um dahinzukommen, habe ich unterschiedlichste Ideen getestet (z.B. leitende Tinte), viele neuere Ansätze auch von Kickstarter-Startups aus USA (so z.B. Chibitronics). Habe ich auf meinem englischen Blog dokumentiert.
Zum Glück habe ich auch alles mit dem Grundschuldirektor ausprobiert und vorbesprochen, denn wir sind zum Schluss gekommen, dass eine sehr einfache Variante die pädagogisch beste sein würde:
selbstklebendes und leitendes (auch der Klebstoff) Kupferband + ganz normale LEDs und andere Bastelkomponenten, z.B. Holz-Wäscheklammern, die man sowohl als Stromquelle (Knopfzelle wird eingeklemmt, Klammer mit Kupfer beklebt und zwei Kabel herausgeführt die dann an das Bastelwerk angehalten oder angeklebt werden können) als auch als Taster verwenden kann (einfach andere Seite der Klammer verwenden).
Der Vorteil dieses Materials sind nicht nur die deutlich geringeren Kosten und die besser Verfügbarkeit – es erleichtert es den Kindern auch sehr mit dem Strom zu beginnen, denn es ist ja ganz normales Basteln mit Klebeband, Schere usw. – überdies hatten wir den Eindruck, dass der Einstieg damit weniger “technisch” gerät (als wenn wir z.B. mit Kabeln oder gar Lötkolben operiert hätten) und damit auch für Mädchen nicht abschreckend ist. Jedenfalls hatten wir einen nahezu ausgeglichenen Anteil von Jungs und Mädchen über zwei Kurse (übrigens interessante Beobachtung: Mädchen und Jungen waren zwar im Kurs fast gleich verteilt, nicht aber in der Anmeldeliste. Der erste Kurs bestand tatsächlich zu 95% aus Jungen, der andere andersherum aus Mädchen. Offenbar sind Eltern von Mädchen zögerlicher in der Anmeldung, seltsam, oder?)

Im 3-stündigen Kurs (mit “Bewegungspause”) haben wir erstmal ganz kurz Grundlagen erläutert (mit simplen Schaubildern einer elektrischen Schaltung) und die Kinder mit einer Knopfzelle und einer LED erste Versuche machen lassen. Da stellen sich schnell Erfolgs-Erlebnisse ein, weil man die LED ja nur richtig herum an die Batterie dranhalten muss. Dabei lernt man aber auch schon “plus” und “minus” (bei der LED ist das längere Beinchen immer “plus”).
Dann haben wir drei Aufgaben vorgegeben, eine erste simple Schaltung, bei der die Leiterbahnen vorgezeichnet waren auf dem Arbeitsblatt (unten zum Download), und eine LED zum Leuchten gebracht werden sollte. Dabei lernen die Kinder den Umgang mit dem Kupfer-Klebeband und erste Wackelkontakte treten auf usw.
Zweite Aufgabe war dann eine Fantasie-Landschaft mit Strom. Hier sollte einfach irgendetwas gebastelt werden, wo die LEDs eine Funktion übernahmen, es wurden Raketen gebastelt, Ampeln, Krokodile mit Leuchtzähnen, Meeresbrausen mit Glitzer aus LED, Pferdeköpfe mit Leuchtaugen, Häuser, Türme usw. – die Kreativität der Kinder dabei war wirklich toll (wir hatten zusätzlich ein bisschen Bastelmaterial ausgelegt sowie ein paar Beispiele zur Anregung). Einige der Ergebnisse sind unten angehängt. Bei diesem Basteln traten natürlich auch diverse spannende elektrische Probleme auf, Leitungen die sich überkreuzten, mehrere LEDs in Reihe oder parallel schalten, Leiterbahnen auf der Rückseite verlegen oder überkleben und natürlich zig kleinere Probleme usw. die häufig auch mit Hilfe der Eltern gelöst wurden (es ist ratsam die Elternunterstützung einzufordern. Zum einen macht es den Eltern und Grosseltern offenbar auch viel Spass, zum anderen ist die Betreuungs-Situation dann viel entspannter).
Nach der Bewegungspause gab es eine kurze Präsentation der Zwischenergebnisse, und dann war die Aufgabe einen einfachen Morse-Apparat zu basteln. Auch hier haben wir nach den Erfahrungen des ersten Kurses im Material ein paar Hilfestellungen gegeben, weil die Schaltung nicht ganz einfach ist – vor allem muss man jetzt einen Taster aus der Klammer bauen, und richtig in die Schaltung einsetzen – da kamen teilweise die Eltern auch ins Schwitzen…
Insgesamt ein grosser Erfolg und viel Spass, und wir haben auch vom pädagogischen Leiter Lob für das Material bekommen. Anbei noch ein paar Impressionen von den Arbeitsergebnissen. Das Material kann gerne weiterverwendet werden und steht unter Creative Commons Lizenz wie unten angegeben.

Material-Download hier: Elektro-AG Arbeitsblatt

Einkaufsliste:



UPDATE: Grossartigerweise haben die Leute von Tinkersoup in Berlin das Kit in ihren Shop aufgenommen – kann also alles bequem über eine Adresse bestellt werden: Elektro-Bastel-Kit für Grundschul-Kinder


–> ich überlege, das evlt. mal als Package zum Verkauf anzubieten, lasst mich in den Kommentaren wissen, wenn Ihr das für sinnvoll halten würdet.

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Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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Eine Generation von Makern

May 5th, 2014 — 4:18pm

Ich hatte zwei Gruppen von Lehrern in meiner Schulzeit – solche mit 68er Hintergrund und solche ohne. Prägend waren natürlich die mit, wobei ich mich auch noch gut an meine tiefe Ablehnung gegen die abgezogenen Rechtschreibtests von Herrn Madajewski mit dem Hirschpulli erinnere, vermutlich brauchten die 68er die anderen doch als Tapete.
Was mich (und ich denke uns) diese LehrerInnen lehrten, war die kritische Haltung. Sowohl gegenüber der Kriegs- und Nazi-Vergangenheit der Eltern und Grosseltern als auch gegenüber dem aktuellen Macht- und Propaganda-Apparat. So erinnere ich mich z.B. wie wir im Religionsunterricht stundenlang die Bild-Zeitung auseinandernahmen (mit der Schere), um die Mechanismen zu verstehen und uns dagegen zu immunisieren. Und natürlich wurden wir zu Ökos erzogen, trugen Frösche über die Strasse und wieder zurück usw.

Auf der republica werde ich ja mit @hilliknixibix und @pausanias über Internet und Technik-Unterricht in der Schule sprechen und unsere Erfahrungen damit – doch was wollen wir eigentlich unseren Kindern mitgeben, zu was wollen wir „sie machen“ später mal? Und was spielt das Internet da für eine Rolle?

Wenn unsere Kindern so alt sind wie wir heute werden sie so sehr vom Internet umgeben sein, wie wir es uns heute gar nicht vorstellen können (denkt einfach mal zehn oder zwanzig Jahre zurück, und überlegt was ihr prognostiziert hättet). Das Internet wird sicherlich so etwas wie das Betriebssystem der Gesellschaft sein und in fast allen relevanten Alltagsprozessen eine Rolle spielen – vor allem aber auch in Form von intelligenten Agenten, Algorithmen und…Dingen die mit dem Netz verbunden sind und eine gewisse Autonomie haben werden.
Man braucht keine NSA um da viele Gefahren heraufziehen zu sehen – wenn unsere Kinder zu Erwachsenen werden sollen, die Autonomie und Freiheit und Liebe und Solidarität erfahren können werden sie in der Lage sein müssen das Internet so auseinanderzunehmen, wie wir seinerzeit die Bild-Zeitung. Sie müssen also programmieren können (oder es zumindest verstehen), die Technik verstehen und das ganze natürlich auch als ein Produkt der Kulturindustrie interpretieren können und als ein politisches und eines von Unternehmen usw.
Das wäre also ein Ziel. Ich habe aber noch ein anderes.
Ich träume davon, dass unsere Kinder nicht nur ganz gut darin werden mit dem OS ihrer Gesellschaft umzugehen – sondern dass sie in einem ganz neuen Sinn zu Gestaltern dieser neuen Welt werden können. Dafür müssen sie Maker/innen werden!
Die Maker-Bewegung beinhaltet so viele pädagogisch erstrebenswerte Ziele, man könnte vermutlich 2/3 der bekannten pädagogischen Ansätze darauf einzahlen lassen. Aber es geht evtl. um mehr als nur ums Basteln und mit den Händen verstehen wie dies und das funktioniert. Mit der Ubiquität der Computerisierung um uns herum und der gleichzeitigen stetigen Zunahme des fabbings, also der Möglichkeiten mit lokalen Mitteln wie z.B. 3D-Druckern eigene Gegenstände und Kleinserien herzustellen könnte eine wirklich neue Dimension hinzukommen, die Makertum zur neuen 68er-Bewegung werden lassen könnte (ok, mal hoch gegriffen, aber egal).
Meine persönliche Maker-Erweckung habe ich einem Heizungs-Thermostat der Firma Devireg zu verdanken (der Devireg 550, lasst bloss die Finger davon). Dieser war bei uns im Bad verbaut worden um die Fussbodenheizung zu regeln. Und er machte mich vom ersten Tag an wahnsinnig. Weil das Interface unfassbar schlecht umgesetzt war. Weil er nie tat was er sollte, mal wurde den ganzen Tag sinnlos geheizt, mal gar nicht, nie hatte ich den warmen Boden unter den Füssen die ich mir gewünscht hatte. Ein Teil des Problems waren irgendwelche okkulten „Komfort-Funktionen“, die dem Ding unabschaltbar einprogrammiert waren und selbst entschieden, wann ab- und anzuschalten sei. Und natürlich half der Elektriker nicht, als er nach mehrfachem Betteln und wochenlangem Warten einbräste in mein Badezimmer – er hatte noch weniger Ahnung von dem dämlichen Teil als ich und doktorte nur blöd dran rum. Ich hab mich dann in das Thema Haussteuerung eingelesen und schnell ein System gefunden, das so eine Steuerung – basierend auf einem Raspberry und Open-Source Software – übernehmen kann. Nach meinen Regeln. Mit Hilfe der Community fand ich dann noch raus, wie man stärkere Ströme schalten kann (ja, und ich wurde als ahnungsloser Depp beschimpft zwischendurch, ich, Sohn eines Elektro-Technikers!), baute schliesslich den neuen Funkschalter ein und schmiss den Devireg auf den Müll. Ich hatte mich befreit. Die Heizung funktioniert seitdem wie ich will und gibt mir auch noch gute Raspberry-Vibes jeden morgen.
Ich weiss, es klingt albern, aber es fühlte sich ein bisschen gross an so einen Sieg gegen den dumpfen Siemens-Saturn-gehtnicht-Komplex errungen zu haben. Und es wäre echt nur albern wenn ich diese Geschichte vor 10 Jahren geschrieben hätte. Jetzt ist es aber vielleicht nicht mehr albern, denn schon bald werden wir noch andere Sachen übernehmen können. Wir können uns unseren News-Algorithmus umbauen und übernehmen. Wir können uns von der Knute der Auto-Industrie befreien und selbstprogrammierte Mobilität wählen, sicher auch bald mit Gadgets die wir in den Tesla reinschrauben können. Schon bald können wir uns vielleicht mit solchen Haus-Steuerungs-Systemen autark mit Energie versorgen und von der Energie-Industrie abkoppeln. Wir können vielleicht auch öffentliche Sicherheit, zumindest teilweise reprogrammieren und übernehmen, durch Vernetzungstools, Apps, Sensoren, Drohnen. Wir werden vielleicht sogar eigene Open-Source Implantate entwickeln und auch hier die Macht einfach selbst übernehmen, die Dinger weiterentwickeln, öffnen, Leuten zur Verfügung stellen die sie nicht bezahlen können usw. (fragt mal @ennomane). Wir können mit Hilfe vom Netz und guten Wissens-Algorithmen den Zugang zu juristischer Beratung einebnen und mit Hilfe von automatischen Übersetzungen Flüchtlingen zur Verfügung stellen, die plötzlich die gleichen Ressourcen zur Verfügung haben wie bisher nur die weißen Reichen, und und und…

Ich möchte, dass unsere Kinder später mal sagen (lächelnd, wenn sie über unsere unterentwickelten Internet-Kenntnisse sprechen), dass wir ihnen beigebracht haben diese Mittel kritisch aber mit Macht einzusetzen, um sich daraus eine gute Gesellschaft zu bauen*. Dass wir sie zu Reinschreibern und Wikipedianern gemacht haben, wo sie anfänglich nur Youtube glotzen wollten. Und dass wir zu Recht den Zugang zu diesen Mitteln verteidigt haben, obwohl sie das damals total peinlich fanden.
Das wäre schön.

— Update —
“Escaping Dystopia” gestern auf der rp14 war der perfekte Vortrag zu diesem Blogpost:
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=h7KY6hWtj5Y&index=11&list=PLAR_6-tD7IZV–8ydJQRCZNEWOp9vf6PY[/youtube]

Und das Video zu unserem oben genannten Schul-Talk ist jetzt auch online:
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=umFKfeIFpgw[/youtube]

*meine kleine Tochter (7) sagte übrigens kürzlich sie wolle später auch mal wie ich solche kleinen Sachen mit Computer drin bauen als Beruf, läuft doch. Ach ja, einen eigenen Maker-Blog habe ich jetzt übrigens auch…

4 comments » | Netzpolitik, Schule

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