Archive for October 2015


Am liebsten würden sie die Smartphones verbrennen

October 26th, 2015 — 10:49pm

Ich beschäftige mich ja schon seit längerem mit der Frage, wie SchülerInnen mehr digitale Fertigkeiten und Kenntnisse an den Schulen vermittelt werden können. Denn es schaut ziemlich düster aus, wenn man an deutsche Schulen geht und sich danach mal umsieht (oder gar eigene Kinder im schulfähigen Alter hat). Selten funktionierendes WLAN, häufig noch nichtmal für die Lehrer, und wenn dann meist stiefmütterlich gepflegt und notorisch instabil. Handyverbote allerorten, Informatik-AGs, die nicht zustande kommen oder als minderwertige Word/Excel-Kurse abgehalten werden, Ausstattung, die einem die Tränen in die Augen treibt.
Auch wenn man von aussen draufschaut, sieht es nicht freundlicher aus – in nahezu jeder Kategorie, die dafür relevant ist (z.B. Nutzung digitaler Hilfsmittel durch LehrerInnen, Verfügbarkeit digitaler Lehrmittel (oder gar OER Materialien), Präsenz von digitalen Lehrinhalten in den Lehrplänen, der Lehrerausbildung usw.) liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf den hinteren Plätzen. Zwar regt sich in den letzten 1-2 Jahren so langsam etwas, allerdings ist das noch weit von dem entfernt, was nötig wäre – zudem hängen uns Nachbarländer längst mit viel entschlosseneren Initiativen ab (UK z.B. mit Einführung von Informatik-Unterricht verpflichtend ab 1. Klasse + Schul-Microcontroller MicroBit für alle Schüler landesweit).
Lange habe ich als Ursache vor allem das föderale Bildungs-System in Kombination mit einer gewissen Wohlstands-Trägkeit angesehen, aber so langsam komme ich zu einer ganz anderen Überzeugung.
Das erste mal wurde mir das klar, als mal wieder auf einem Elternabend in der Klasse meiner Tochter ein Handy-Verbot diskutiert wurde. Mein Werben für einen differenzierten und vor allem pädagogischen Umgang mit dem Thema anstelle eines Verbotes wurde weggefegt, und schliesslich beschloss die Elternvertretung zusammen mit der Lehrerschaft ein allumfassendes Handy-Verbot bis zu Oberstufe für die gesamte Schule inkl. Aussenflächen mit recht drastischen Sanktionen bei Verstössen.
Da dachte ich zum ersten mal: was ist das eigentlich für eine starke negative Energie und Ablehnung? Haben die Eltern wirklich Sorge, dass Ihre Kinder vom Lernen zu sehr abgelenkt werden? Auf dem Schulhof? Als Begründung wird ja gern dann mit viel unterstützendem Kopfnicken gesagt, die Kids würden ja “nur noch vor diesen Dingern hängen”…(obwohl die Studien von Danah Boyd relativ klar belegen, dass Jugendliche sich über “die Dinger” vor allem vernetzen, ihre Identität ausprobieren, ausbauen und vor allem: ihr Leben leben…)
Ein zweites Indiz ergab sich, als ich für eine spezielle Unterrichts-Stunde zur Sonnenfinsternis in die Schule gerufen wurde, um das Streaming des Ereignisses zu ermöglichen (über Köln lagen Wolken) – da die Schule kein funktionierendes WiFi hatte, musste ich mit meinem MiFi und eigenem Rechner anrücken. Während dieser Spezial-Unterrichts-Stunde waren zwei LehrerInnen anwesend. Da zwischendurch immer auch ein wenig Unterricht gemacht wurde, tauchten zwei spezielle Fragen auf, die von beiden LehrerInnen nicht beantwortet werden konnten.
Frage 1: “Wie ist der Mond entstanden?” (zahlreiche teils abstruse Vorschläge seitens der SchülerInnen)
Frage 2: “Was heisst Sonnenfinsternis auf französisch?” (die Französisch-Lehrerin war anwensend)
Beides mal kurzes Ringen um eine Antwort seitens der Lehrerschaft, und dann die Frage: “kann das mal eben einer von Euch nachschauen?”. Damit war das HANDY gemeint (es war noch vor dem Verbot). Beide male konnte die korrekte Antwort in wenigen Sekunden ermittelt werden – schon darin war übrigens ein Stück Medien-Erziehung enthalten, das vermutlich mehr Relevanz für die Zukunft der SchülerInnen beinhaltete als die ganze Stunde über die Sonnen-Finsternis: nämlich, wie man Quellen beurteilt und im Internet gute Informationen findet (denn natürlich gibt es zur Mond-Enstehung auch ne Menge abstruse Erklärungen im Netz).
War aber vor allem wirklich schön zu sehen, wie offensichtlich der Nutzen von Smartphones für den Unterricht sein kann – und da sind wir noch nicht in Physik (Handy als Sensor für Experimente) oder Geschichte o.ä. angelangt, wo das Smartphone vll. noch viel fundamentaler didaktisches Element sein könnte.

Warum also das Verbot?

Ich glaube die wirkliche Antwort auf die Frage steckt letztlich auch in der obigen Szene, denn: es geht schlicht um Macht. Ein Handy in der Hand einer Schülerin verschiebt das im traditionellen Bildungs-System angelegte Machtverhältnis von LehrerIn zu SchülerIn auf dramatische Weise – und zwar nicht nur, weil der Lehrer sich damit nicht auskennt, nein – das Smartphone stellt letztlich das ganze auf Fakten-Wissen angelegte System in Frage, und das ist bei Licht betrachtet ein riesiger Teil des Bildungs-Systems, der noch nichtmal mit der Schule endet…
Damit könnte man den Widerstand der LehrerInnen ganz gut erklären – doch warum ist die Gegen-Front auch in der Elternschaft so stark? Da kommt meiner Ansicht nach noch ein weiterer Aspekt ins Spiel, der noch tiefer geht. Die Menschen spüren, dass wir am Rande einer kaum mehr aufzuhaltenden Revolution stehen, die alle Gesellschaftsbereiche betreffen, und kaum einen Stein auf dem anderen lassen wird. Viele Berufsbilder werden verschwinden oder komplett umdefiniert werden, die bisher sichere Machtoptionen darstellen, wie z.b. Rechtsanwalt, Mediziner, Professor, Architekt, Ingenieur usw. – aber auch Insititutionen, das politische System und selbst so banale Dinge wie das Taxigewerbe sind plötzlich vom Aussterben bedroht. Die digitale Revolution wird selbst nach Meinung gemässigter Experten rückblickend vermutlich ähnliche Ausmasse entfaltet haben, wie seinerzeit der Buchdruck oder die Industrialisierung. Damit ist aber auch klar, dass viele alte Machtpositionen in Gefahr sind, vielleicht so viele, wie schon seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten nicht mehr. Eigentlich muss man sich fast wundern, dass der Widerstand gegen alles Digitale nicht noch viel fundamentaler ausfällt – jedenfalls habe ich immer mehr den Eindruck, dass wir beim Versuch digitale Inhalte an die Schulen zu bringen de facto mit agressivem Widerstand zu rechnen haben (der natürlich pädagogisch motiviert daherkommt) und nicht nur mit Trägkeit und Innovationsbremserei. Und das verändert natürlich die Lage ganz erheblich…

— Update —-
Einige LeserInnen haben im Text oben “Lehrer-Bashing” gelesen. Nichts könnte mir ferner liegen – ich finde selbst die angeführten Unterrichtsbeispiele eher Fälle von geschickter Integration von Digital-Medien. Der Text richtet sich ja vielmehr gegen die Eltern, von denen so viel mehr Ablehnung ausgeht. Dass ich viel davon halte, mit engagierten LehrerInnen zusammenzuarbeiten und nicht nur zu lamentieren kann man verschiedentlich in meinem Blog nachlesen (Elektro-Basteln mit Grundschul-Kindern und meine Meinung zu moderner Pädagogik an einer Inklusions-Schule etc.). Auch das von mir mit-initiierte Projekt des Beirates junge digitale Wirtschaft für ein Fach Digital-Kunde aber der 1.Klasse lebt davon dass Pilot-Projekte mit diversen Schulen durchgeführt und die Erfahrungen gesammelt werden.

42 comments » | Netzpolitik, Politik

Daten essen Seele auf

October 9th, 2015 — 10:17pm

Vor einiger Zeit habe ich aufgehört mein Jogging zu tracken. Es war mir zuwider geworden – und zwar nicht nur das ‘auf Facebook posten’, sondern auch einfach das Tracken an sich. Weil es etwas mit einem macht, mit dem Erlebnis des Laufens in dem Fall. Man läuft anders, beobachteter, kompetitiver, mit mehr Normgewalt im Nacken. So war zumindest mein Gefühl. Als ich den Tracker ausstellte, fühlte es sich natürlich erstmal seltsam an, fast wie ein verschwendeter, kaum realer Lauf. Aber es war eben auch anders, mehr bei mir, unzerteilter, analoger*.
Ich komme deshalb darauf, weil ich heute nochmal Bruce Sterlings düsteren Essay zum Internet of Things las, und wie es seiner Meinung nach unseren Alltag unter die Gewalt der Tracking-Konzerne bringen wird. Sterling beschreibt den Einzug von Devices, die mit dem Internet verbunden sind als Einzug einer Überwachungs-Infrastruktur, die vor allem darauf abzielt die Ownership über Dinge zu übernehmen, die bisher uns gehörten – wie zum Beispiel unser Haus, unser Kühlschrank, unser Badezimmerspiegel.
Und es ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Google z.B. mit dem Kauf von Nest darauf abzielt, die Datenhoheit in den Wohnzimmern zu erlangen. So wirbt der Nest-Thermostat z.B. mit einem Auto-Away Modus, der permanent trackt, ob jemand zuhause ist um dann ggf. die Heizung runterzuregeln. Tolles Feature. Aber auch zweifellos tolle Überwachung.
Auch an anderer Stelle in diesem Blog habe ich mich schonmal damit beschäftigt, ob Daten allein schon durch ihre Existenz/Erhebung einen bestimmten Effekt haben können, z.B. einen der auf Ent-Solidarisierung zielt (auch z.B. durch unmerkliche Aushebelung des öffentlichen Raums und des Streikrechts). Der Soziologie-Professor Selke hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie mit Quantified Self und Body-Trackern eine neue Art der sozialen Stigmatisierung geschaffen wird…
Auf der anderen Seite bin ich bekennender Daten-Afficionado und glaube tatsächlich an viele positive Effekte davon und die Innovationskraft aus datengetriebenen Geschäftsmodellen. Und mal ehrlich, ich finde es auch einfach geil, wenn Sachen plötzlich ein Logfile schreiben, die vorher nur blöd herumstanden, wie z.B. mein Vorgarten (Feuchtigkeits-Sensor) oder die Türklingel, und natürlich die Heizung.
Aber ist das nur Selbst-Verblendung? Haben Daten eine Zerstörungsdynamik, die notwendigerweise zu Kontrolle, Aufgabe von Solidarität und Vereinzelung führt? Ist Tracking grundsätzlich gleichzusetzen mit Beobachtung und damit Fremdbestimmung und Eingriff? Ist keine rhetorische Fragensammlung, bin mir da wirklich nicht sicher.
Dennoch glaube ich: wir müssen zumindest versuchen an Modellen zu arbeiten, wie freundliche, solidarische, demokratische und allgemein gute Gesellschaften funktionieren können bei ständiger Daten-Erhebung. Vielleicht durch punktuelle Einschränkung der Datensammlung, ein Recht auf Nicht-Erscheinen, analog sein und Verdunkelung – warum nicht? Oder durch Nicht-Zugriffsrechte für bestimmte Entitäten wie z.B. Krankenversicherungen, Arbeitgeber usw.
Schöner fände ich es aber noch, wenn wir Modelle fänden, die Solidarität in Daten modellieren und auf einen neuen Level bringen, also nicht als Abwehrkampf, sondern als Nutzung der positiven disruptiven Kräfte die der Digitalisierung innewohnen. Wer je auf twitter Freundschaften geschlossen hat, weiss was ich meine, aber es gibt auch zahllose andere Beispiele dafür, dass Digitalisierung neue Solidarität stiften kann, mehr Offenheit und neue Formen der Kontrolle _von unten_. Daran muss noch mehr gearbeitet werden.
Was mich aber noch beschäftigt bei meinem persönlichen getracked-werden: ich habe das Gefühl, dass es durchaus technische Determinanten des Unwohlseins mit dem Tracking gibt, und zwar: Mein Laufen habe ich derzeit mit Runtastic getracked. Wurde nach Abschluss eines Laufes hochgeladen und man konnte per Kontrollkästchen entscheiden, ob es auf Facebook geshared werden soll, oder nicht. Ich fand das unangenehm, allein schon durch das nackte Tracken.
Auf der anderen Seite habe ich mein ganzes Haus verwanzt, jeder Heizungsthermostat schreibt Logfiles, viele Lichtschalter ebenso, die Fussbodenheizung, die Jalousien, die Hasenstallheizung usw. – da werden Tonnen von Daten generiert, und können jederzeit ausgewertet werden. Und das sind ziemlich nahe und private Daten, man sieht wann jemand badet, wann es in welchem Raum wärmer wurde usw. – komischerweise stört mich das überhaupt nicht, kein bisschen. Obwohl es ja auch mein analoges trautes Privaträumchen digital zerteilt und analysierbar macht und in Big-Data verwandelt. Aber: es wird nirgends hochgeladen, sondern müllt nur eine kleine SD-Karte auf dem Raspberry im Keller zu.
Ist es das? Die Cloud? Der potentielle Zugriff durch Fremde?
Falls ja – was würde sich ändern, wenn die Daten verschlüsselt wären und nur durch meine explizite Zustimmung von dritten analysiert werden dürften? Was wenn es meine eigene Cloud wäre? Oder was, wenn es Open-Data wäre?
Ist es wirklich so, dass die Gestaltung von Daten-Ownership und das Spielen mit den Kontrollhebeln für Transparenz und Kontrolle darüber entscheiden, ob ich die Privat-Digitalisierung creepy oder nützich (oder auch ‘egal’) empfinde?

—— Nachtrag —-
Meine Frau sitzt gerade im Krankenhaus mit Verdacht auf Lungenentzündung. War mit Baby bei Ihr, damit sie stillen konnte. Krankenhäuser sind furchtbare Orte der Heteronomie, der ganze Ablauf ist irgendwie auf Entzug von Autonomie und “Maul halten und warten” ausgelegt, sinnlos irgendwo rumsitzen, warten auf Leute die nicht kommen, undurchschaubare Prozesse und generell natürlich nach Innen ein Machtapparat wie sonst nur im Mittelalter zu finden (sprecht mal mit Leuten, die dort arbeiten). However – sie hat aber natürlich ihr Smartphone dabei. Damit ist sie mit unseren Freunden auf Mallorca in Verbindung während der Untersuchung (von da sind wir wegen der Krankheit gerade abgereist), mit ihrer Mutter, mit mir, mit Freunden auf twitter und whatsapp, zusätzlich besorge ich ihr immer wieder auf Zuruf Hintergrund-Infos zu Sachen die die Ärzte gesagt haben oder was sie auch nicht beantworten konnten (z.B. Röntgen in der Stillzeit). Wenn mir nochmal jemand erzählen will, dass wir immer nur auf “diese Dinger” starren, weil Konzerne uns abhängig machen wollen und weil wir das richtige Leben nicht aushalten oder so – das “richtige Leben” für meine Frau in dieser Situation wäre dröge rumhängen und ausgeliefert sein, ausserdem Einsamkeit. Mit Handy kann sie selbstbestimmt agieren mit ihren Liebsten Menschen virtuell um sie versammelt, sei es auch nur als aufmunternde Mention auf twitter. Ich würde gerne verstehen, wie man solche Effekte der Digitalisierung stärken kann und schädigende eingrenzen, darum ging es eigentlich oben…

—— Nachtrag Ende —-

*lese übrigens deswegen auch nicht mehr mit dem kindle seit längerem. Zu viel Beobachtung.

6 comments » | IoT, Netzpolitik

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