Mechanomorph – vom Selbst als While-Schleife

Blickt man zurück in die Geschichte des menschlichen Geistes und der Kultur wird schnell klar, dass unser Bewusstsein und unsere Konzeption von uns selbst immer schon Produkt der Verhältnisse war, in denen wir lebten – das kann man vor allem rückblickend zum Beispiel gut an der Kunst eines jeweiligen Zeitalters erkennen. Vieles davon verläuft kontinuierlich und entlang dem gesellschaftlichen und technologischen Wandel – einige AutorInnen vertreten aber auch die Ansicht, dass es Sprünge in dieser Entwicklung gibt, wie z.B. die Entdeckung der Perspektive in der Kultur der Renaissance (Jean Gebser und andere), die Entdeckung des Seelischen bzw. des Unbewußten mit dem Erscheinen von Sigmund Freuds Traumdeutung, die Einführung des Geldes (Christiana von Braun) usw. – man kann also festhalten, dass die Art wie wir denken, arbeiten und uns und andere wahrnehmen eben nicht konstant oder naturgegeben, sondern in hohem Maße bedingt ist.
Einen umbruchartigen Wandel bemerkt man häufig auf vielen Ebenen der Gesellschaft, also den ökonomischen Verhältnissen, Machtstrukturen, in den Rollenbildern oder eben auch in der bildenden Kunst und der Literatur.
Was ich mich frage – wenn wir uns inzwischen alle so einig sind, dass die Digitalisierung voll im Gange ist und eine ziemliche Umwälzung nach sich ziehen wird – spräche nicht einiges dafür, dass wir uns auch an der Schwelle eines solchen Bewusstseins-Wandels befinden?
Und jetzt noch eine ganz andere Betrachtungs-Ebene – aus meiner Introspektion: Es gibt ja diese Übergangszustände, die häufig (bei mir zumindest) unter starker Übermüdung auftreten, also Zustände wo der Geist schon halbwegs funktioniert aber auch noch an der Schwelle zum Traum balanciert – und die Kontroll-Mechanismen noch nicht wirklich greifen. Man aber dennoch schon – oder noch – Dinge tun muss, z.B. Milch für das Kind warm-machen. Oder noch eben etwas aus der Küche wegräumen. In diesen Phasen habe ich seit einigen Jahren etwas an mir festgestellt, das ich ziemlich faszinierend finde, wenn auch sehr schwer greifbar, denn kognitive Vorgänge in diesen Phase sind darin Träumen recht ähnlich, dass sie sich nicht in der Erinnerung verankern lassen. Wenn man also nicht explizit etwas dafür tut, wird man sich schon wenige Minuten nicht mehr erinnern, bestenfalls noch an das Abbild, also dass da “was war”. Deshalb kann ich es hier auch leider nur in groben Zügen beschreiben. Habe mir vogenommen, das in der nächsten Zeit bewusster aufzuzeichnen und dann evtl. hier nachzuliefern. Also: was bei mir in solchen Zuständen immer wieder geschieht ist, dass ich mich selbst und auch Menschen um mich herum als Computer wahrnehme. Und zwar nicht im Sinne von “wie ein Computer”, also als Methapher/Analogie, sondern wirklich als wäre mein Gehirn und meine Seele ein PC-System (ok, irgendwas mit Linux von mir aus). Ein Beispiel habe ich zum Glück noch konkret vor Augen, und das ist beim Erwärmen der Milch fürs Kind. Das machen wir immer im Milchaufschäumer für den Kaffee, was die Herausforderung mit sich bringt, dass die Milch da eigentlich zu heiss wird. Also stecke ich meinen Finger in die rotierende Milch um den richtigen Zeitpunkt abzupassen. In diesem Moment schaltet mein Bewusstsein immer mal wieder wie fahrlässig in einen Modus um, wo ich mich selbst als eine Art Arduino-Controller sehe, der in einer kleinen While-Schleife den Temperatur-Fühler prüft und wartet dass der Rückgabewert dem erwünschten Threshold entspricht. Mehr nicht, das sind auch meist nur so kurze Gedankenbilder die schnell wieder vom Wachbewusstsein empört überschrieben werden. Aber es gibt diese Momente. Andere Fälle sind müde Begegnungen mit meiner Frau oder meinen Kindern wo ich kurz überlege wie deren CPU-Auslastung wohl gerade aussieht oder ob bestimmte Register jetzt auf andere Werte gesetzt werden o.ä. – ist jetzt schwer konkret zu beschreiben weil ich das eben nicht genau genug erinnere. Passiert aber immer wieder. Übrigens am zuverlässigsten immer dann, wenn starke Beschäftigung mit Computern auf starke Übermüdung trifft. Häufig spielt Code dabei auch eine zentrale Rolle, d.h. ich konstruiere mir einen vermuteten Zustand des gegenübers oder meiner selbst als ein Stück PHP-Code wenn man so will (ja, sorry).
Mag sein, dass das nur versponnene Müdigkeits-Selfish-Fantasien ohne jegliche Bedeutung sind – ist sogar sehr wahrscheinlich.
Dennoch frage ich mich, ob es mit unserem Bewusstsein nicht etwas tiefgreifendes anstellen könnte, wenn wir uns inzwischen während unserer kompletten Wachphase mit einer Internet-Schnittstelle umgeben. Und wenn diese Schnittstelle in naher Zukunft sogar immer weniger gegenständlich sein wird, weil sie als implantierte Sensorik, Sprach-Aura oder anderweitig omnipräsent und natürlich smart auf uns abgestimmt daherkommt.
Wenn die Entdeckung der Räumlichkeit im ausgehenden Mittelalter so eine Revolution im Denken und in der Malerei verursachen konnte – was sagt es uns dann, wenn mittlerweile jeder im öffentlichen Raum auf eine Glasplatte starrt und seine echte Umgebung kaum mehr wahrnimmt?
Spannend finde ich diese Frage übrigens auch im Hinblick auf die Mensch-Maschine Diskussion, im Zusammenhang mit KI und maschinellem Lernen. Denn da diskutieren wir immer so, als würde eine maschinelle Intelligenz sich auf uns zubewegen, und als würde sich nur die Frage stellen, wie nahe die uns am Ende kommt. Was, wenn wir auch in Bewegung geraten und auf diese Intelligenz zugehen? Wie wäre es, wenn die Grenze zu den Maschinen zunehmend permeabel würde, weil wir in unserem Selbstkonzept zunehmend maschinelle Anteile aufnehmen?
Alles nur lose Gedanken bisher. Aber ich werde jetzt mal anfangen, diese Phänomene ein wenig systematischer aufzuzeichnen.

Category: Uncategorized One comment »

One Response to “Mechanomorph – vom Selbst als While-Schleife”

  1. ปั้มไลค์

    Like!! Really appreciate you sharing this blog post.Really thank you! Keep writing.


Leave a Reply



Back to top