Scannen von Emails ist jetzt cool

June 9th, 2017 — 9:31am

Interessant finde ich, wie sich das Thema “die scannen Deine emails” über die letzten Jahre entwickelt hat. Noch bis vor wenigen Jahren wurde Google & Co immer wieder angekreidet (z.B. hier), dass sie zwar einen kostenlosen Mail-Service anbieten – im Gegenzug aber ungefragt alle emails scannen und für Werbe-Optimierung auswerten. Deutsche Mail-Provider haben immer wieder auf diesen Umstand hingewiesen, und die Verletzungen von Datenschutz und (gefühltem) Briefgeheimnis moniert. Ich fand es selbst auch grenzwertig, und dachte immer da würde es irgendwann nochmal richtig Ärger geben, spätestens wenn z.b. die neue Datenschutz-Grundverordnung in Kraft wäre. Ich kann mich auch an einen Artikel von Sascha Lobo erinnern, in dem er ziemlich empört berichtete, wie nach einer privaten Mail-Kommunikation zu einer Urlaubsplanung plötzlich an allen möglichen Stellen im Netz per Re-Targeting passende Angebote zum Reiseziel auf ihn einprasselten (kann den Artikel leider nicht mehr finden, nur dieses jüngere Update dazu ohne die persönliche Story). Googles Antwort (wenn es mal eine gab) dazu war übrigens immer sinngemäss: “wir scannen zwar, aber wir lesen nicht. Das machen Algorithmen – der Inhalt der mails interessiert uns nicht.”

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Dann wurde es stiller um die Sache, Leute fanden sich damit ab. Eine typische Phase in Sachen Datenschutz – kleine Usability-Vorteile reichen aus, um bei den meisten selbst so gravierende Eingriffe in die persönliche Daten-Hoheit in den Hintergrund zu rücken. Aber auch sonst wurde es ruhig, weder der agile Hamburger Datenschutz-Beauftragte noch sonstige Akteure regten sich darüber auf – was natürlich auch damit zu tun hat, dass das alles rechtens ist/war, und die Leute schön brav per AGB (gelesen und verstanden) allem ihr ok gegeben hatten.
Und jetzt kommt die nächste Phase. Das ziemlich tolle Google Inbox ist da. Wenn ich jetzt z.B. ein Hotel buche, landet ein passender Eintrag in meinem Kalender – wie von Geisterhand. Auch wenn ich das Hotel in Google-Maps anschaue für die Wegplanung oder so, sind meine Buchungsdaten dort per lay-over hinterlegt. Total praktisch. Um solche tollen Services zu ermöglichen, hatte Google übrigens vor einiger Zeit seine AGBs angepasst und etwas getan, was vorher immer als no-go galt: Service-übergreifende Nutzung von Daten zum Standard gemacht. Alles nur aus besten Absichten, die AGBs wurden so kürzer und klarer, ausserdem natürlich einheitlich über alle Services. Und es war natürlich nicht nur Google, Microsoft z.B. ging fast noch forscher zu Werke und integrierte Daten aus allen möglichen Quellen per AGB-Reform.
Aber das ist ja Vergangenheit, Google Inbox ist heute – und es ist nur der Anfang. In den nächsten Monaten und Jahren werden wir immer faszinierendere Services sehen, die irgendwas praktisches oder nettes für uns machen, automatisieren und so. Nicht nur in Mails, auch mit unseren privaten Fotos, später bestimmt auch Health-Records usw. (zu Photos hatte ich ja schonmal was geschrieben). In Zukunft werden dabei z.B. immer öfter auch Daten aus IoT Devices in unseren Wohnungen oder an öffentlichen Orten hinzukommen. Später auch Daten aus unseren Körpern oder sogar über Emotionen (bin selbst nicht ganz unbeteiligt daran), Gedanken (Facebook arbeitet mit Hochdruck an einer entsprechenden Brain-Machine-Schnittstelle). Die Gewichte in der Datenschutz-Debatte verschieben sich dabei nochmal deutlich. Heute wirkt Google-Mail schon eher wie ein smarter Service mit beeindruckenden Funktionen und GMX wie ein tumbes Postfach aus der Vergangenheit. Das Scannen der Mails ist nicht mehr creepy sondern Teil des Faszinosums. Und die Datenschutz-Debatte wird davon vermutlich schon bald ganz weggefegt – Datenschutz erscheint zunehmend wie so eine Art Diesel-Motor der europäischen Digital-Industrie. Und was soll ich selbst sagen – es besorgt mich sehr, aber ich bin auch all-in.

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Warum ich das mit dem BGE anders sehe

May 23rd, 2017 — 8:23am

Der liebe Martin Oetting hat auf seinem Blog vor ein paar Tagen einen lesenswerten Beitrag zum BGE veröffentlicht, der viel geteilt wurde. Er ist mit seiner Linie der Kritik am BGE als neoliberalem Experiment nicht alleine, das wurde auch schon verschiedentlich anderweitig formuliert (z.B. hier).
Etwas handstreichartig stellt Martin die These auf, das BGE würde letztlich zur Abschaffung des Sozialstaats führen (weil es zu teuer ist um beides aufrechtzuerhalten und natürlich bisherige Systeme ersetzen würde). Ausserdem sei es zu gering bemessen, um ein gutes Leben zu ermöglichen. Und es wird angeführt (in dem Zeit-Artikel oben insbs.), dass es letztlich eine Zweiklassen-Gesellschaft etablieren würde – auf der einen Seite die BGE-Abgehängten, auf der anderen Seite die in richtigen Berufen, die sich normal entfalten können.
Alles Risiken, die nicht ganz von der Hand zu weisen sind.
Trotzdem erscheint mir die Gegenargumentation zu stark vereinfacht, und letztlich polemisch. Ausserdem irgendwie überraschend unwillig. Zum Beispiel Höhe: wurde ja noch nicht festgelegt – wenn 1000 EUR zu wenig wäre, um ein gutes Leben zu führen, und es das Ziel wäre, das mit dem BGE zu erreichen – dann müsste es halt höher ausfallen. Verstehe nicht, warum das so ein fundamentales Argument dagegen sein soll.
Aber mein eigentlicher Punkt ist ein anderer: Ich liebe unseren Sozialstaat, also die Tatsache, dass man im Zweifel aufgefangen wird, dass niemand ins Nichts fällt* und dass eigentlich niemand hungern muss bei uns oder ohne Dach über dem Kopf leben. Und dass jede/r zur Schule und zum Arzt gehen kann. Und so vieles mehr. ABER: Martin schlägt ja vor, mal mit Leuten zu sprechen auf der Strasse, die von HartzIV leben. Gute Idee. Ich würde aber noch weiter gehen und vor allem nicht nur über die Höhe der Bezüge sprechen. Sondern über die Art und Weise, wie man an diese drankommt, und was das mit einem macht. Denn der viel gepriesene Sozialstaat ist – nach den Schröder-Reformen nochmal viel mehr – ein System von Drangsalierungen und Erniedrigungen. Das, was von Martin so gepriesen wird als ein System, das auf individuelle Not und Bedarfe eingeht, heisst im Alltag, dass Leute wegen kleinster Dinge, wie z.B. Zuschuss zur Erstausstattung wenn ein Kind in die Schule kommt, eine Tour sondergleichen machen müssen mit Wartezeiten, Vorlage von Papieren, Belegen und Unterschriften, blöden Kommentaren, Unterstellungen usw. usf.
Schön ist auch, wenn man seine Arbeit verliert und ausreichende Bemühungen um einen neuen Job nachweisen muss. Oder wenn man es nicht mehr erträgt die 18-jährige Tochter zuhause zu haben und argumentieren muss, dass diese nun Anspruch auf Wohngeld hat.
In der praktischen und alltäglichen Anmutung kommt dieser Sozialstaat überhaupt nicht wie ein freundliches Angebot eines reichen Landes daher, sondern wie eine widerwillig gewährte Notleistung mit permanenten Unterstellungen des Missbrauchs und der Minderleistung. Natürlich alles vorgetragen und kontrolliert von überfordertem und unfreundlichem Personal, das ist ja langsam eh der Standard.
Ich mag mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie mit diesem System weitergemacht werden soll, wenn die Gesellschaft sich vom Ziel der Vollbeschäftigung verabschieden sollte, und die Zahl der Anspruchs-StellerInnen sich vervielfachen würde, häufig ohne realistisches Ziel da je wieder rauszukommen.
Die Schröder-Reformen haben nach dem Prinzip “fördern und fordern” noch einen deutlich verschärften Instrumentenkasten der Massnahmen zur Drangsalierung und Kontrolle mitgebracht – Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und Job-Center werden auch angehalten, diese scharf einzusetzen und angeblich gibt es sogar Kontroll- und Incentiv-Systeme, die sicherstellen, dass auch genügend gedrängelt und bedroht wird.
Dieses System ist nicht nur ein Bürokratie-Monster, sondern es ist gegen die Würde der Menschen gestrickt, die es in Anspruch nehmen müssen. Und es lebt natürlich noch von der Idee, dass eigentlich genügend Arbeit da ist und eigentlich jede/r einen Job haben könnte – WENN ER/SIE SICH DENN NUR GENÜGEND ANSTRENGEN WÜRDE!
Ich bin deswegen für das BGE, weil es mir vor diesem Hintergrund wie ein Befreiungs-Schlag für die Würde vorkommt. Und ja, vielleicht sogar wirklich auch ein Stück weit wie die Abschaffung des Sozialstaates – nämlich des drangsalierenden und entwürdigenden Sozialstaates.
Und warum sollte dieser eigentlich nicht trotzdem weiterhin da sein in Fällen, wo das BGE nicht reicht? Ich sehe nicht, warum ein BGE automatisch zur Abschaffung aller Prinzipien des fürsorglichen Staates führen müsste – das erscheint mir eher so eine Totschlag-Argumentation zu sein. Und: ein BGE wäre ja weiterhin sozial, nur halt ohne Nachweise und Drohkulisse.
Ich bin auch deshalb für das BGE, weil es uns als Gesellschaft zwingen würde nochmal neu nachzudenken, wie wir leben wollen. Was Arbeit für uns bedeutet. Denn das ist noch ein anderer Effekt, auf den ich setzen und hoffen würde – der nebenbei auch dafür sorgen täte, dass es eben keine Spaltung und Zweiklassengesellschaft gäbe. Menschen wollen arbeiten. Es ist erfüllend und toll, und man kann wachsen dabei und Glückserfahrungen haben (oder Momente der Selbstwirksamkeit). Das funktioniert dann besonders gut, wenn man nicht aus grösster Not irgendeine Drecksarbeit annehmen muss, sondern wenn man frei und mit guter Ausbildung wählen kann, was man/frau machen möchte, wo man denkt glücklich zu werden und einen Beitrag zu leisten zum besseren Leben aller. Zum einen glaube ich, dass das System von Bildung und späterem Beruf schon immer darauf zielt, Menschen in befriedigende Arbeitsverhältnisse zu bringen. Mit den Anforderungen, die Automatisierung und die Abkehr von der Vollbeschäftigung bringen wird, könnte das System aber nochmal viel nachhaltiger überarbeitet werden – nämlich so, dass wir Daseins-Vorsorge und erfüllende Arbeit soweit wie möglich entkoppeln. Eben mit einem BGE.

Und noch ein letztes – das macht es für die SPD (und viele andere mit protestantischer Arbeitsethik im Blut) auch so schwierig: Selbstverständlich sollte so ein BGE auch ermöglichen, dass Menschen gar nicht arbeiten oder einfach nur Kunst machen oder den ganzen Tag auf der Ukulele rumklimpern. Und das ohne das Gefühl, Leuten “auf der Tasche zu liegen” – sondern eher mit dem Gefühl, als glückliche Menschen einen genauso wertvollen Beitrag zur Gesellschaft zu liefern, wie der Nachbar-Malocher mit seinem BMW.

*halte ich übrigens für den grössten Fehler der Hartz-Reformen, dass genau das jetzt passiert, also dass Leute nach 30 Jahren arbeiten und einzahlen nach wenigen Monaten auf Sozialhilfeniveau fallen.

—-> Internet ist auch, wenn jemand anderes fast zeitgleich einen ähnlichen, nur viel elaborierteren und besser begründeten Text schreibt –> hier entlang

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Mechanomorph – vom Selbst als While-Schleife

May 13th, 2017 — 1:57pm

Blickt man zurück in die Geschichte des menschlichen Geistes und der Kultur wird schnell klar, dass unser Bewusstsein und unsere Konzeption von uns selbst immer schon Produkt der Verhältnisse war, in denen wir lebten – das kann man vor allem rückblickend zum Beispiel gut an der Kunst eines jeweiligen Zeitalters erkennen. Vieles davon verläuft kontinuierlich und entlang dem gesellschaftlichen und technologischen Wandel – einige AutorInnen vertreten aber auch die Ansicht, dass es Sprünge in dieser Entwicklung gibt, wie z.B. die Entdeckung der Perspektive in der Kultur der Renaissance (Jean Gebser und andere), die Entdeckung des Seelischen bzw. des Unbewußten mit dem Erscheinen von Sigmund Freuds Traumdeutung, die Einführung des Geldes (Christiana von Braun) usw. – man kann also festhalten, dass die Art wie wir denken, arbeiten und uns und andere wahrnehmen eben nicht konstant oder naturgegeben, sondern in hohem Maße bedingt ist.
Einen umbruchartigen Wandel bemerkt man häufig auf vielen Ebenen der Gesellschaft, also den ökonomischen Verhältnissen, Machtstrukturen, in den Rollenbildern oder eben auch in der bildenden Kunst und der Literatur.
Was ich mich frage – wenn wir uns inzwischen alle so einig sind, dass die Digitalisierung voll im Gange ist und eine ziemliche Umwälzung nach sich ziehen wird – spräche nicht einiges dafür, dass wir uns auch an der Schwelle eines solchen Bewusstseins-Wandels befinden?
Und jetzt noch eine ganz andere Betrachtungs-Ebene – aus meiner Introspektion: Es gibt ja diese Übergangszustände, die häufig (bei mir zumindest) unter starker Übermüdung auftreten, also Zustände wo der Geist schon halbwegs funktioniert aber auch noch an der Schwelle zum Traum balanciert – und die Kontroll-Mechanismen noch nicht wirklich greifen. Man aber dennoch schon – oder noch – Dinge tun muss, z.B. Milch für das Kind warm-machen. Oder noch eben etwas aus der Küche wegräumen. In diesen Phasen habe ich seit einigen Jahren etwas an mir festgestellt, das ich ziemlich faszinierend finde, wenn auch sehr schwer greifbar, denn kognitive Vorgänge in diesen Phase sind darin Träumen recht ähnlich, dass sie sich nicht in der Erinnerung verankern lassen. Wenn man also nicht explizit etwas dafür tut, wird man sich schon wenige Minuten nicht mehr erinnern, bestenfalls noch an das Abbild, also dass da “was war”. Deshalb kann ich es hier auch leider nur in groben Zügen beschreiben. Habe mir vogenommen, das in der nächsten Zeit bewusster aufzuzeichnen und dann evtl. hier nachzuliefern. Also: was bei mir in solchen Zuständen immer wieder geschieht ist, dass ich mich selbst und auch Menschen um mich herum als Computer wahrnehme. Und zwar nicht im Sinne von “wie ein Computer”, also als Methapher/Analogie, sondern wirklich als wäre mein Gehirn und meine Seele ein PC-System (ok, irgendwas mit Linux von mir aus). Ein Beispiel habe ich zum Glück noch konkret vor Augen, und das ist beim Erwärmen der Milch fürs Kind. Das machen wir immer im Milchaufschäumer für den Kaffee, was die Herausforderung mit sich bringt, dass die Milch da eigentlich zu heiss wird. Also stecke ich meinen Finger in die rotierende Milch um den richtigen Zeitpunkt abzupassen. In diesem Moment schaltet mein Bewusstsein immer mal wieder wie fahrlässig in einen Modus um, wo ich mich selbst als eine Art Arduino-Controller sehe, der in einer kleinen While-Schleife den Temperatur-Fühler prüft und wartet dass der Rückgabewert dem erwünschten Threshold entspricht. Mehr nicht, das sind auch meist nur so kurze Gedankenbilder die schnell wieder vom Wachbewusstsein empört überschrieben werden. Aber es gibt diese Momente. Andere Fälle sind müde Begegnungen mit meiner Frau oder meinen Kindern wo ich kurz überlege wie deren CPU-Auslastung wohl gerade aussieht oder ob bestimmte Register jetzt auf andere Werte gesetzt werden o.ä. – ist jetzt schwer konkret zu beschreiben weil ich das eben nicht genau genug erinnere. Passiert aber immer wieder. Übrigens am zuverlässigsten immer dann, wenn starke Beschäftigung mit Computern auf starke Übermüdung trifft. Häufig spielt Code dabei auch eine zentrale Rolle, d.h. ich konstruiere mir einen vermuteten Zustand des gegenübers oder meiner selbst als ein Stück PHP-Code wenn man so will (ja, sorry).
Mag sein, dass das nur versponnene Müdigkeits-Selfish-Fantasien ohne jegliche Bedeutung sind – ist sogar sehr wahrscheinlich.
Dennoch frage ich mich, ob es mit unserem Bewusstsein nicht etwas tiefgreifendes anstellen könnte, wenn wir uns inzwischen während unserer kompletten Wachphase mit einer Internet-Schnittstelle umgeben. Und wenn diese Schnittstelle in naher Zukunft sogar immer weniger gegenständlich sein wird, weil sie als implantierte Sensorik, Sprach-Aura oder anderweitig omnipräsent und natürlich smart auf uns abgestimmt daherkommt.
Wenn die Entdeckung der Räumlichkeit im ausgehenden Mittelalter so eine Revolution im Denken und in der Malerei verursachen konnte – was sagt es uns dann, wenn mittlerweile jeder im öffentlichen Raum auf eine Glasplatte starrt und seine echte Umgebung kaum mehr wahrnimmt?
Spannend finde ich diese Frage übrigens auch im Hinblick auf die Mensch-Maschine Diskussion, im Zusammenhang mit KI und maschinellem Lernen. Denn da diskutieren wir immer so, als würde eine maschinelle Intelligenz sich auf uns zubewegen, und als würde sich nur die Frage stellen, wie nahe die uns am Ende kommt. Was, wenn wir auch in Bewegung geraten und auf diese Intelligenz zugehen? Wie wäre es, wenn die Grenze zu den Maschinen zunehmend permeabel würde, weil wir in unserem Selbstkonzept zunehmend maschinelle Anteile aufnehmen?
Alles nur lose Gedanken bisher. Aber ich werde jetzt mal anfangen, diese Phänomene ein wenig systematischer aufzuzeichnen.

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Warum eben doch alle programmieren lernen sollten – und was “alle” dabei genau heisst.

April 17th, 2017 — 4:31pm

Natürlich müssen nicht alle jetzt programmieren lernen. Leute, die das so oder in ähnlicher Weise kolportieren haben aber auch nur wenig von dieser Diskussion verstanden. Fairerweise muss ich zugeben, dass ich auch lange von dieser immer wieder vorgetragenen Forderung genervt war, aber mittlerweile hat sich das geändert – aus mehreren Gründen.
Der Einwand stimmt zunächst auf der banalsten Ebene nicht, denn kaum jemand fordert überhaupt ernsthaft SchülerInnen landauf, landab sollten jetzt per default Programmieren lernen – einfach um des Programmierens willen. Oder weil so viele ProgrammiererInnen benötigt werden (von der bösen I N D U S T R I E !!!).
Alle Bildungsleute, die das irgendwie fordern, meinen üblicherweise etwas anderes, und es ist schlicht Unsinn, die Forderung auf dieser Ebene aushebeln zu wollen (sorry Sascha).
Oft wird die Forderung auch eingebettet in das Konzept der “digital literacy” oder eben in eine weitere Konzeption rund um ein Schulfach “Computer Science” oder “Digitalkunde” oder eben auch einfach “Informatik”.
Programmieren hat in dem Zusammenhang eine Reihe von Funktionen, von denen ich einfach mal zwei hervorheben will.
Zum einen dringt man mit dem Programmieren am schnellsten dorthin vor, wo die digitale Revolution/Transformation zusammengehalten wird – beim Code. Egal ober der nun “law” ist oder einfach nur Normen der alten Welt ersetzt, wenn z.b. Roboter oder KI-Systeme programmiert werden. Um beurteilen zu können, ob ein Pre-Crime Algorithmus rassistisch agiert oder ein Service-Roboter nach ethnischen Kriterien Tee ausschenkt, ist es einfach hilfreich erstmal im Kern zu verstehen, wie diese funktionieren. Also dass dort Code zum Einsatz kommt. Dass dieser von Menschen (zumindest bis heute) geschrieben wurde. Dass dem bestimmte Modellierungs-Schritte zugrundeliegen, und dabei auch viele Annahmen und Mikro-Entscheidungen eingebaut wurden. All das lernt man eben, wenn man kleine Sachen selbst programmiert am besten. Also z.B. einen Mathe-Trainer, der auf Sprache reagiert und Süssigkeiten für richtige Lösungen ausgibt*. Programmieren lernen heisst in dem Zusammenhang ein Verständnis für den Code zu vermitteln – und zwar den kulturellen, den Meta-Code sozusagen, also die Art wie soziale Zusammenhänge dort einfliessen und welche Entscheidungen dabei prä-modelliert werden. In den Tee-Roboter kann man/frau dann z.B. einfach mal reinschauen und prüfen, welche Datenquellen er heranzieht. Oder ihn experimentell untersuchen – weil man eine gute Idee hat, wie das Ding vermutlich intern funktioniert. Oder man kann schauen, ob das Ding Open-Source ist – vielleicht weil man in der Schule mit Open-Source Materialien gross geworden ist und eben das Konzept von klein an eingeatmet hat, dass häufig ein Code irgendwo drin werkelt und es spannend sein kann, sich diesen mal anzusehen. Ich glaube wirklich, dass das für zukünftige Generationen genau das gleiche sein wird, wie in unserer Schulzeit Botschaften von Print-Medien im Deutsch-Unterricht dekodiert (sic!) wurden oder eben Collagen aus Werbe-Sprüchen in Kunst erstellt werden mussten.
Die Forderung Programmieren zu lernen hat in dem Zusammenhang also praktisch gar nichts mit dem Heranziehen von ProgrammiererInnen zu tun – sondern vielmehr mit der Grundausbildung von sourveränen TeilnehmerInnen einer zukünftigen Zivilgesellschaft, die sehr viel stärker noch als heute von Code geprägt sein wird. Und wir sollten uns klar machen, dass Kinder, die heute eingeschult werden am Ende Ihrer Schulzeit in eine Welt starten werden, die in krasser Weise von digitaler Technik durchwirkt sein wird – was also heute wie die Spezialbeschäftigung mit einem Randthema erscheint, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit in 15 Jahren eine ganz andere Dimension haben – einfach weil z.B. alles immer und überall von Sensoren und Code und Kameras und Algorithmen umgeben sein wird, und verdammt viel davon abhängen wird, wie souverän man/frau sich darin bewegen kann.
Der zweite Aspekt der Programmieren im Zusammenhang mit Digitalerziehung so wichtig macht, ist die Motivation. Es macht Kindern (und Erwachsenen natürlich auch) einfach unglaublich viel Spass, das Ruder in die Hand zu nehmen und wirklich was zu programmieren. Die Erfolgserlebnisse des ersten lauffähigen Programmes kann meist jede/r erinnern, der/die das schonmal erfahren hat**. Und es ist immer wieder inspirierend SchülerInnen dabei zu beobachten, wenn ihnen das erstmals gelingt, oder wenn sie später ihre erste knackigere Aufgabe selbst gelöst haben. Programmieren ist die tollste Art, sich mit dem Digitalen auseinanderzusetzen, viel toller als jede Art von Medienerziehung und Auflisten von Gefahren aus dem Internet usw. Das mag sich zwar nach einer Banalität anhören – für die pädagogische Frage wie man Kinder fit fürs digitale Zeitalter machen kann ist das aber von grosser Bedeutung – denn mit dem Programmieren haben wir offenbar einen Schlüssel, um an viel Motivation ranzukommen, gleichzeitig entstehen viele Momente der Selbstwirksamkeit – meiner Ansicht nach eine der schönsten Sachen, die Bildung und Schule hervorbringen können.
Zusammengefasst: Programmieren ist wichtig, weil es mit viel Spass und Selbstmotivation einen tiefen Zugang zur digitalen Sphäre ermöglicht.
Und jetzt noch zu Frage warum “alle”, bzw. was das genau bedeutet im Zusammenhang mit einem Bildungs-System. Denn interessanterweise wird dieses “alle” immer wieder sehr schnell infrage gestellt, zuletzt z.B. im gerade ausgestrahlten Bildungs-Diskurs im Deutschlandradio von Christian Füller, der sonst nicht gerade für neoliberale Positionen in Bezug aufs Bildungs-System bekannt ist. Dennoch redet er – wie praktisch alle anderen TeilnehmerInnen der Debatte – einem Konzept der Schulbefähigung das Wort, also der Idee Schulen einfach Autonomie und Geld zu geben, damit sie das Problem selbst in die Hand nehmen können. Ich halte das für sehr gefährlich und auch ziemlich falsch. Denn damit wird eine riesige Qualität des Bildungs-Systems verspielt, die gerade in der Begleitung der digitalen Transformation so wichtig wäre. Es heisst nämlich deshalb Bildungs-“System”, weil es ein systematischer, flächendeckender Ansatz ist, der qua definition _alle_ Kinder erreicht. In Deutschland wird man sogar von der Polizei zur Schule gebracht, wenn die Eltern das nicht hinbekommen. Dieses “alle” ist mir wichtig, denn ich glaube der Anspruch sollte sein, dass tatsächlich alle Kinder einen Zugang zu digital literacy bekommen – auch dann, wenn sie in einer strukturschwachen Region wohnen, ignorante Eltern haben und es leider auch weder einen Förderverein noch zufällig einen engagierte/n LehrerIn gibt. Für die digitale Bildung (aber auch jegliche andere) heisst das: Es muss gelingen, das System zu überzeugen und in ein flächendeckendes sowie obligatorisches Angebot zu münden. Nur so ist Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu realisieren (und ja, um da wirklich hinzukommen sind noch diverse andere Dinge in diesem System zu fixen, aber das würde hier zu weit führen). Der Ansatz Schulen einfach machen zu lassen kann in dem Zusammenhang nur dann funktionieren, wenn er eingebettet ist in eine entsprechende Entscheidung des Systems als Ganzem (also z.B. die Aufnahme von Programmieren in einen obligatorischen Medienpass in NRW, um mal ein Beispiel zu nennen). Ach ja – obligatorisch ist dabei natürlich auch wichtig – zum einen weil nur so eine systematische Versorgung entsteht. Ausserdem weil die Versorgungslücken wie meist nicht zufällig verlaufen, sondern z.B. entlang von Geschlechtergrenzen. Ein freiwilliges AG-Angebot “Programmieren” oder “Elektro-Basteln” in der Grundschule wird immer mehrheitlich von Jungen besucht werden. Bei einem obligatorischen Angebot entsteht das Problem gar nicht erst.

Also: Ja, tatsächlich sollten alle SchülerInnen in Deutschland programmieren lernen, so schnell und flächendeckend wie möglich.

*dabei habe ich übrigens gelernt, dass das eingesetzte Sprach-System (Open-Sphinx) Kinder deutlich schlechter versteht als Erwachsene. Das ist ein interessanter Design-Bias denn das System sollte eigentlich von solchen Faktoren unabhängig funktionieren.

**alle die sich jetzt sagten “ja, stimmt – das war geil” bitte mal kurz innehalten und überlegen: warum eigentlich? Ich glaube nämlich, dass es mehr ist als nur der “mastery-effekt”, also die Tatsache, dass man etwas geschafft hat worauf man hingearbeitet hat. Es ist doch eher so, als hätte man etwas geknackt was ein grosses Tor zu weiterem öffnet oder eben Magie ausstrahlt.

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Warum ich #men4equality unterstütze – und warum es mir nicht leichtgefallen ist

September 16th, 2016 — 7:09am

Als ich gefragt wurde, ob ich bereit wäre die Initiative #men4equality zu unterstützen, gab es zwei spontane Reaktionen. Ja! und Oh….(lieber nicht)! Das will ich kurz erklären.
Ich hasse männerdominierte Veranstaltungen. Die Studienlage was Diversität und deren Einfluss auf einen guten Diskurs, Kreativität usw. anbelangt ist deutlich – das wird auch von meiner persönlichen Erfahrung unterstrichen. Das gilt darüber hinaus übrigens auch für Firmen und Zusammensetzung von Teams generell. Und ausserdem: it’s fucking 2016! Es ist wirklich unglaublich, wie wenig weit wir in diesen Fragen gekommen sind und wieviel da immer noch diskutiert werden muss – dass es überhaupt so eine Initiative geben muss, ist eigentlich unfassbar.
Aber das Problem ist real, ich habe sogar das Gefühl, dass es fast unverändert vor sich hin mäandert. Gerade gestern wieder auf einer Veranstaltung in Köln gewesen zum Thema Insurtech. Mehrere Panels, ein Haufen Pitches von Unternehmen, zig Gründerteams. Alles Männer. Ich ja auch.
Und damit komme ich zum ersten Grund, warum ich nicht gleich laut “hier” geschrien habe bei der Frage oben: Ich bin mal wieder Gründer und war dort zum Pitch eingeladen. Darüber haben wir uns sehr gefreut, als Startup muss man jede Gelegenheit suchen und wahrnehmen, um in Kontakt mit VCs und pot. Kunden zu kommen. Jetzt war ich zum Glück nicht auf einem der Panels sondern nur im Pitch – hätten sie mich auf ein Panel eingeladen, wäre ich in der delikaten Lage gewesen entweder vereinbarungsgemäss abzusagen mit Hinweis auf speakerinnen.org, oder teilzunehmen und damit am Launchtag der #men4equality Kampagne auf einem all-men panel zu sitzen. Na toll.
Das soll keine Entschuldigung und kein Rauswinden sein – ich will damit nur sagen, dass es nicht leicht ist, der Selbstverpflichtung zu folgen weil die verdammten all-men Veranstaltungen eine Realität sind. Der Männeranteil bei VC-Firmen pendelt häufig irgendwo im Bereich von 90+%. Deswegen ist die Noah-Konferenz ja auch so toll gelaufen. Aber was machst Du als Startup, wenn Du bei der nächsten Noah auf ein Panel geladen wirst?
Es gibt natürlich Mittelwege – als die Münchner Medientage mich vor einiger Zeit für den Online-Gipfel einluden habe ich z.B. tatsächlich auf das Problem hingewiesen und an meiner statt eine Frau aus der Branche vorgeschlagen. Wurde abgelehnt. Der Online-Gipfel wurde im Folgejahr übrigens aus dem Programm der Veranstaltung gestrichen…
Ich kenne die Problematik übrigens auch als Veranstalter – mit meiner Ex-Firma nugg.ad habe ich zweimal die Data-Days in Berlin veranstaltet. Ein ausgewogener Frauen-Männer-Anteil gehörte zum Briefing meiner Leute und der Agentur vom ersten Tag an – und wir haben bis zum Beginn der Veranstaltung fast täglich darum gerungen. Weil es wirklich schwer ist genügend Frauen zu gewinnen für so eine Veranstaltung – ist ja auch klar. Man will einflussreiche bekannte Leute zu den Themen, und wer ist da wohl einflussreich und bekannt? Meistens Männer – oder zumindest sieht es für uns so aus… Die ganze Runtermach-Männerkultur sorgt ja auch dafür, dass Frauen sich generell weniger trauen und dann lieber nicht sprechen wollen – schon gar nicht wenn sie mit fünf superschlauen Männern auf einem Podium sitzen sollen. Uns ist es damals gelungen fast 40% Frauenanteil zu haben, aber nur unter grössten Anstrengungen. Gelohnt hat es sich definitiv, wir hatten Teresa Bücker und Anne Roth als Keynote-Speakerinnen, Lorena Jaume-Palasi als brilliante Panelistin, und sogar die Europäische Kommission wurde durch eine Frau vertreten. Im Startup-Pitch waren es dann aber wieder ausnahmslos Männer – es gab einfach nicht eine einzige Bewerbung eines Startups durch eine Frau!
Wegen dieser Erfahrung habe ich übrigens den allergrössten Respekt vor der re:publica, die es bei einer immensen Anzahl von SpeakerInnen immer wieder schafft nahezu eine 50:50 Verteilung hinzubekommen – das ist wirklich eine fantastische Leistung!
Die Initiatioren von #men4equality haben also recht – es hilft VeranstalterInnen darauf hinzuweisen und Druck aufzubauen – ausgeglichene Podien bekommt man nur annähernd hin, wenn es im mindset der Veranstalter von Tag1 eine Priorität ist*.
Und wer noch nicht ganz überzeugt ist – es gibt ein schönes Real-World Beispiel, das fast einem experimentellen Setting gleicht und das Problem wunderschön darlegt: In Berlin finden regelmässig Veranstaltungen zum Thema Internet of Things statt – konkret vor allem die thingscon und die iotcon. In 2014 fanden sie sogar fast parallel statt, also: gleiches Thema (grob), gleicher Ort, gleiches Zeitfenster. Und was soll ich sagen – die thingscon schaffte es ein wunderbar ausgeglichenes Set von Speakerinnen und Speakern hinzubekommen (kann man hier noch sehen), während die iotcon ein paar Kilometer entfernt die typisch dröge all-men Nummer abzog. Und natürlich war die thingscon die bei weitem bessere Veranstaltung, inspirierender, offener, sympathischer.
Aber – um meinen Konflikt nochmal schön zu beleuchten: Es ist 2016, die thingscon pausiert dieses Jahr, die iotcon hat gerade stattgefunden und war wieder mehr oder weniger all-men. Und wir waren Sponsor mit unserem Startup. Fuck.
Ich fühle mich dem Committment von #men4equality natürlich trotzdem verbunden, und werde es als Ansporn nehmen den Druck auf VeranstalterInnen hoch zu halten**. Aber wir müssen uns auch klar machen, dass es bei weitem nicht reichen wird. Wir brauchen diesen Druck auf allen Ebenen, bei Einstellungsgesrpächen, bei Startup-Pitches (“warum habt ihr nur Männer im Team?”), bei Besetzung von Führungspositionen (ja, wir brauchen eine Quote) und im Alltag. Man kann aus der Veranstalter-Problematik allerdings auch was schönes lernen: We can do it. Es ist mühsam und braucht Aufmerksamkeit von Tag1 an. Aber wenn es gelingt kommt sowas raus wie die thingscon oder die re:publica. Und was, wenn sich dieses learning auf die ganzen anderen Situationen wo allmen Standard ist übertragen liesse?

* wir sollten bei der Gelegenheit vielleicht auch über Formate reden und wie Konferenzen generell ablaufen. Podien mit fünf Leuten oder so funktionieren praktisch nie – kleinere Runden sind viel besser. Und schon wird es leichter eine 50:50 Verteilung hinzubekommen, wenn ich der einen Frau, die glücklicherweise bereit ist zu kommen einfach nur einen Mann zur Seite stelle. Oder wir machen gleich eine unconference und beenden diese mensplaining Steilvorlagen-Formate, wo einer vorne steht und checkermässig erläutert, wie es so läuft.
**bei der Gelegenheit möchte ich auch auf den D64-Newsletter hinweisen, der täglich auf Veranstaltungen hinweist und jeweils den SpeakerInnen-Anteil ausweist. Ein ähnliches Ziel verfolgt die Seite 50prozent.

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Whatsapp gibt Telefon-Nummer an Facebook – warum das mehr ist, als nur eine Datenschutz-Änderung

August 26th, 2016 — 6:10am

Ich habe ja bekanntermaßen keine großen Berührungsängste, was Werbung mit Targeting anbelangt oder generell datengetriebene Geschäftsmodelle (nur falls das jemand in den Kommentaren zu leaken plant). Aber bei der aktuellen Meldung, dass Whatsapp nun die Telefonnummer an Facebook weitergibt, fröstelte mir doch kurz ein wenig.
Für die meisten liest sich die Meldung wie eine irgendwie erwartbare Anpassung der Datenschutzbestimmungen nach der Übernahme durch Facebook – vor allem aber liest es sich eigentlich nicht so schlimm, oder? Tochter gibt der Mutter Mobilfunknummer ihrer Kunden weiter (diese können auch widersprechen). Letztlich irgendwie auch harmlos. Allerdings muss man genau lesen, denn hier und dort heißt es, Facebook hätte damit die Möglichkeit, Nutzern bessere Angebote zu machen von Anbietern, die ebenfalls über die Telefonnummer des Kunden verfügen. Tatsächlich gibt es bei Facebook schon seit längerem für Werbekunden die Möglichkeit, ihre Kundendatenbanken hochzuladen und mit der Facebook-Kundendatenbank zu matchen, z.B. anhand von E-Mails, oder eben auch anhand von Telefonnummern. Nur war es bisher so, dass in vielen Fällen dieser match nicht klappte, z.B. weil Leute auf Facebook mit anderen E-Mails arbeiten oder weil sie ihre Telefonnummer dort nicht ablegen…
Der ganze Whatsapp-Deal macht jetzt schlagartig nochmal neuen Sinn und diese Änderung der Datenschutzbestimmungen ist deutlich mehr als nur eine kosmetische Korrektur. In Zukunft werden also Firmen, die irgendwo mal an eure Telefonnummer gekommen sind, mit einfachsten Möglichkeiten euch Werbebotschaften zustellen können und zwar personalisierte. Also wirklich im Sinne von “Mayer, warum sind sie gestern so schnell aus dem Laden gestürmt?” Und das nicht nur auf Facebook, sondern zunehmend auch außerhalb, denn FB baut die Möglichkeiten, die eigenen Daten auf Fremdwebsites fürs Targeting zu nutzen, permanent aus (wie Google übrigens auch).
Schön ins Bild dazu passt natürlich, dass Mobilfunk-Anbieter zunehmend am Datenbusiness teilnehmen wollen und Anbietern ebenfalls ermöglichen, zusätzliche soziodemographische Daten zur Mobilfunknummer anzureichern.
Damit wird die Mobilfunknummer langsam zu einer Art universal identifier, mit dem Tracking und Targeting über alle Grenzen hinweg möglich ist. Im Vergleich dazu erscheinen die bisherigen Cookies wie eine Werbetechnologie aus einer Folge der Waltons.
Das muss man im Effekt nicht schlecht finden, aber mich besorgt schon zunehmend, wie da en passant eine immer größer werdende, nun auch voll personalsierte Datenbank* entsteht, die unglaublich viele Details zu den jeweiligen Personen enthält und jetzt außerdem eindeutig der jeweiligen Person zugeordnet werden kann. Und: Es wird langsam fast unmöglich, das Internet pseudonym/anonym zu nutzen. Das ist nicht nur für Menschen, die Schutz benötigen, eine schlechte Nachricht, sondern generell für das Netz als ein Ort der offenen und kreativen Kommunikation.

*Es sind tatsächlich sogar viele Datenbanken, die sich permanent untereinander synchronisieren.

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Bundesregierung will Algorithmen regulieren – wirklich?

May 13th, 2016 — 4:39pm

Heute schreibt Patrick Beuth in der Zeit unter dem Titel “Bundesregierung will mehr über Googles Algorithmus wissen” von einem Positionspapier der Regierung zum Thema Offenlegung von Algorithmen, das offenbar an die EU-Kommission geschickt wurde um eine stärkere Regulierung von Algorithmen bei grossen Digital-Konzernen zu erreichen.
Hört sich erstmal ganz gut an, und auch ich habe diese Forderung ja vor langer Zeit (2012) in der FAZ formuliert. Die Idee dort war in drei Stufen zu verfahren, zum einen Stellen wo Algorithmen Entscheidungen treffen oder Filterungen vornehmen zu kennzeichnen (1), dann Möglichkeiten der Einsicht anzubieten, also wie der Algorithmus in diesem Fall konkret funktioniert (2), und idealerweise das ganze auch abschaltbar zu machen (3). Das würde im Falle einer News-Website z.B. bedeuten, dass man einen ungefilterten Stream sieht – so wie man bei Facebook mit etwas Mühe eine chronologische Sortierung des News-Feeds aktivieren kann anstelle der algorithmisch gefilterten.
In der Premium-Klasse würde man dann auch noch die Algorithmen selbst offenlegen.
Diese Forderungen und Ideen sind also nicht neu, auch auf der re:publica 2013 haben wir dazu ein Panel gemacht und intensiv darüber diskutiert. Aber es gab auch zahlreiche andere Initiativen und Vorträge in die Richtung.
Jetzt könnte man sagen – ja ja, steter Tropfen hölt den Stein, ist doch gut, dass darüber gesprochen wird und jetzt endlich auch in der Bundesregierung. Nun ja. Wirklich interessant finde ich, dass es jetzt so ein Papier gibt, wo doch vor wenigen Wochen die Datenschutz-Grundverordnung nach jahrelanger Arbeit endlich beschlossen wurde. Denn in dieser Verordnung gibt es einen Paragraphen zum sog. “Profiling” (Artikel 22), in der Verordnung heisst es auch “automatisierte Entscheidungen inkl. Profiling”. Dieser Paragraph sollte Fälle wie z.B. das vieldiskutierte Scoring regeln (also Schufa & Co), aber hätte theoretisch eben auch problemlos andere Fälle automatisierter Entscheidungen regeln können – eben solche wie sie im obigen Positionspapier der Bundesregierung behandelt werden. Man hätte z.B. ohne Schwierigkeiten hier eine allgemeine Kennzeichnungspflicht unterbringen können. Aber auch Auskunftsrechte wären denkbar gewesen. Allerdings hätte man dafür den Wirkungskreis des Paragraphen nicht dermassen einschränken dürfen, dass nur noch solche automatisierten Entscheidungen betroffen sind, die “eine rechtliche Wirkung entfalten” oder “erheblich einschränkend sind” (in älteren Fassungen der VO war das nicht so eingeschränkt). Denn damit dürften ziemlich sicher Anzeigen von Suchergebnissen, Filterungen von News-Artikeln und diverse andere algorithmische Filterungen aussen vor sein. Insofern finde ich es ziemlich scheinheilig, jetzt von einer Initiative zur Regulierung von Algorithmen zu sprechen – das hat man gerade erst sträflich unterlassen.
Soviel zur Bundesregierung. Im Artikel wird auch gesagt, eine Offenlegung von Algorithmen käme einer Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gleich, und wäre damit praktisch unmöglich. Nun ja. Das wird natürlich immer wieder von den Unternehmen so vorgetragen und ist in der Tat schweres juristisches Geschütz. Aber es gibt auch in anderen Fällen schöne Beispiele dafür, wie trotzdem Auskunftsrechte und Eingriffsmöglichkeiten für User realisiert werden konnten, ohne den Unternehmen den garaus zu machen, z.B. im Fair Credit Reporting Act der FCC aus dem Jahre 1970, der regelt wie BürgerInnen Einsicht in Algorithmen, Daten und Verfahren im Rahmen von Kreditentscheidungen bekommen können. Warum sollte es nicht möglich sein, etwas ähnliches für Algorithmen im Netz hinzubekommen, zumal dort die technischen Möglichkeiten eigentlich noch viel einfachere und elaboriertere Auskünfte direkt im Kontext ermöglichen würden? Überdies müssten dafür eben nicht zwangsläufig die Algorithmen im Quelltext offengelegt werden (mal abgesehen davon, dass viele Unternehmen eh Verfahren einsetzen, die in der scientific community weithin bekannt sind) – eine lesbare Beschreibung der generellen Verfahrensweise würde in vielen Fällen auch reichen, und wenn dann noch die konkret beteiligten Daten angezeigt würden wäre die Transparenz für Internet-UserInnen schon um ein vielfaches höher als heute (das kürzlich gelaunchte Projekt algorithmwatch geht in eine ähnliche Richtung).
Ein anderes Modell, das Pate stehen könnte für eine Veröffentlichungspflicht bei gleichzeitiger Wahrung von Geschäftsgeheimnissen könnte das Handelsregister sein. Hier müssen Kapitalgesellschaften schon immer heikle Informationen aus ihrem Geschäftsbetrieb in standardisierter Form veröffentlichen – das Ziel ist hier ein vertrauensvolles Wirtschaften der Unternehmen untereinander zu ermöglichen. Bilanzen, wichtige Änderungen in der Leitungs-Struktur oder neue Beteiligungen müssen hier der Öffentlichkeit kundgegeben werden, und können mittlerweile sogar über ein Online-Portal eingesehen werden. Könnte das nicht ein Modell für Veröffentlichung von Informationen zu eingesetzen Algorithmen sein? In der aktuellen Blockchain-Hype-Debatte wird ja auch schon thematisiert, dass es zukünftig evtl. Firmen geben wird, die komplett nur aus einem in der Chain abgelegten smart contract bestehen (also einem Algorithmus) – so abwegig ist der Gedanke also vielleicht wirklich nicht.
Jedenfalls sollte man weitere Schritte in die Richtung unternehmen, ohne sich von Blender-Aktivitäten wie dem o.g. Positionspapier in die Irre führen zu lassen.

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Der geschickte Mythos von der unendlichen Arbeit

May 11th, 2016 — 9:20am

Heute ging zufällig ein frühes Video von Steve Jobs durchs Netz [youtube]https://www.youtube.com/watch?v=gFE-Tdz24hM[/youtube]
Meine spontane Reaktion (als aktuell mal wieder dreifacher Parallel-Gründer) war wie bei vielen – oh yes! Aber irgendwas in mir grummelte auch kurz, und dann hatte ich eine Parallel-Assoziation, nämlich von einer Generalversammlung in der Siedlergenossenschaft, in der meine Frau aufgewachsen ist. Das ist eine alte Hippy-Gemeinschaft, die es geschafft hat ihre vom Abriss bedrohte Siedlung in eine Genossenschaft zu überführen. Aber bei der Versammlung standen Neuwahlen eines AR-Mitgliedes an, und dabei kam die Frage auf, warum eigentlich ausnahmslos alle Positionen der Genossenschaft (also Vorstand und Aufsichtsrat) männlich besetzt seien. Kurzes heftiges hin- und her, und dann hob einer der alten Aufsichtsräte zu einer kurzen Warnrede an, das Amt sei sehr kräftezehrend, man müsse über viel Erfahrung und Fachwissen verfügen und im Schnitt mehrere Stunden(!) pro Tag investieren, wenn man es halbwegs richtig machen wolle. Aber darüberhinaus seien Frauen für das Amt natürlich herzlich willkommen. Das waren sehr ähnliche Worte wie oben bei Jobs. Und die aktuelle Quote von Frauen, die Startups gründen liegt irgendwo im einstelligen Bereich.
Hinzu kommt ein lustiges Detail aus meiner eigenen Gründer-Vita, an das ich mich erinnerte. In meinen ersten Verhandlungen mit Investoren stellte ich den Anspruch auf (wir hatten gerade ein 8-Monate altes Baby zuhause, ungefähr wie jetzt auch) in meinen CEO-Vertrag einen verbindlichen Anspruch auf Teilzeit eingebaut zu bekommen (die Firma verbrannte zu der Zeit ca 200.000 EUR pro Monat). Die Gesichter hätte ich aufzeichnen sollen für die Nachwelt… Aber es wurde ein wenig verhandelt, recherchiert und debattiert, und dann hatte ich eine 80%-Regelung drin. Auch da war das Haupt-Argument, dass Investoren sowas natürlich gar nicht gerne sähen und es eigentlich auch nicht funktionieren könnte, wenn die Mannschaft (sic) nicht zu 100% committed wäre…
Hat dann ja doch funktioniert, und übrigens hatte ich in der Gründungsphase meiner letzten Firma tatsächlich etwas mehr Zeit für die Familie als in meiner Zeit als leitender Angestellter einer grossen Marktforschungsfirma.
Man sollte also vorsichtig sein mit dem Mantra des unvermeidlichen Arbeitswahnsinns – zumal ich auch zutiefst davon überzeugt bin, dass es als Erfolgsfaktor für ein Startup nur eine mindere Rolle spielt, oftmals könnte es sogar hinderlich sein, wenn das Gründungsteam 12h pro Tag schuftet. Stumpfe-Säge-Baum-Problem sozusagen. Für ein erfolgreiches Unternehmen ist es viel wichtiger ein paar sehr gute Entscheidungen zu treffen und diese dann durchzustehen. Klar muss man manchmal auch kämpfen und sehr viel arbeiten. Aber es ermöglicht eben auch mitten in der Woche das Baby zu schaukeln (während ich dies schreibe), weil die Oma grad nicht kann und die Mama auch arbeiten ist – beide selbstständig übrigens…

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Leise digitale Zweifel

March 28th, 2016 — 3:26pm

Kürzlich war meine Frau auf einem Psychotherapeuten-Kongress, und ich Begleitpersonal. Die meiste Zeit schob ich also das Baby durch die schöne Stadt Leipzig – da wir vergessen hatten Bücher fürs Kind mit einzupacken, schaute ich auch in einer netten Buchhandlung vorbei, und erwarb ein paar Kinderbücher. Das Kind ist derzeit sehr affin für Schiebetechnik und Anfassbücher.
Bei einem Vortrag aus dem Programm des Kongresses wollte ich aber unbedingt dabei sein, und zwar dem von Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin, Gender-Forscherin und Filmemacherin aus Berlin. Mir war relativ egal worüber sie genau sprechen würde, denn ich habe einen Vortrag von ihr, der etwa 20 Jahre zurückliegen dürfte, als einen der inspirierendsten in Erinnerung, den ich je gehört habe. Also habe ich mich in den Kongress hineingeschummelt und hörte ihr zu – mit Baby auf dem Arm und später dann krabbelnd auf dem Boden (beide).
Der Vortrag von Christina von Braun war zum Thema “Vatersprache – Muttersprache – Alphabet” – es ging dabei um die Frage, inwiefern das Alphabet selbst historisch konnotiert ist, und insbs. geschlechtsspezifische Prägungen mit-transportiert – wo ja gemeinhin auch in der Forschung gerne mit der Annahme gearbeitet wird, die Buchstaben seien abstrakte Symbole ohne nähere Bedeutung. Der Vortrag war wieder absolut faszinierend. Fast spielerisch konnte sie darlegen, wie sehr die Einführung des griechischen Alphabetes vor etwa 3000 Jahren mit zwei anderen gesellschaftlichen Umbrüchen verbunden war – zum einen der zunehmenden Ökonomisierung (Schrift wurde überhaupt anfänglich vor allem für Zwecke der Buchhaltung entwickelt), zum anderen einem Umbruch vom matriarchalen vom patriarchalen System, einhergehend mit der Ablösung einer eher oralen Erinnerungskultur durch die schriftsprachliche. Das kann man in die verschiedensten Verästelungen nachvollziehen, z.B. in der Ordnung der Buchstaben, der Bedeutung des Buchstabens “A” (steht für Ochse, männliche Fruchtbarkeit etc. – aber auch graphisch verwandt mit diversen späteren Währungs-Symbolen, von den Viechern vor der Wallstreet mal ganz zu schweigen), aber auch darin, dass generell in der Kulturgeschichte bis heute seitdem eine Annahme kultiviert wird, die dem weiblichen eher das körperliche, und dem männlichen eher das geistige zuspricht (verbunden mit der Sprache und der Schrift). Teilweise übrigens ganz physisch zu verstehen wenn nur den Männern der Zugang zu Kultschriften gewährt wurde. Ich kann das hier nur dilletantisch wiedergeben, aber es gibt einen gut lesbaren 10-seitigen Text auf Ihrer Homepage, der das Thema gut darlegt.
Wieder zurück im Hotelzimmer führte ich meiner 9-monate alten Tochter die neu erworbenen Bilderbücher vor. Auf eines davon war ich besonders gespannt, denn es war ein sog. Sound-Buch mit eingebautem Mikrocontroller und Soundausgabe. Es heisst “hörst du die Vögel” und bietet ein paar Vogel-Bilder mit jeweils einem kleinen Touch-Punkt, bei dessen Berührung der zugehörige Vogel-Sound abgespielt wird. Sie liebt Bücher, insofern machte sie sich direkt darüber her. Spannend war aber ihre Reaktion auf das “interaktive Feature”. Sie reagierte irgendwie verwundert, fast respektvoll und weigerte sich standhaft den Punkt zu berühren. Noch tagelang ging das so, oft tat sie sogar so, als würde sie den Punkt berühren und tippte daneben…

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Die Digitalisierung. Ich gehöre ja auch zu den Apologeten einer stärkeren Umarmung derselben – egal ob im eigenen Leben, in der Schule, bei der Arbeit oder z.B. bei der Partei-Arbeit. Ich glaube, wir können die digitalen Mittel zum Besseren nutzen und sollten unsere Kinder so gut wie möglich auf eine Welt vorbereiten, in der sie überall von digitalen Dingen umgeben sein werden. Dazu gehört idealerweise auch ein Einblick in Code und wie dieser funktioniert, klar. Ich denke zwar nicht, dass jede/r programmieren können sollte, allerdings bin ich tatsächlich davon überzeugt, dass in naher Zukunft Code tatsächlich law sein wird und ein Fortbestand der Zivilgesellschaft auch davon abhängen wird, wie gut wir Code beherrschen werden. Bisweilen wird in dem Zusammenhang ja sogar die Forderung laut, Programmieren solle wie eine weitere Fremdsprache verpflichtend gelernt werden.
Eine neue Sprache…was sagte Christina von Braun in Leipzig nochmal? Sprache ist immer auch gesellschaftlicher Kontext, sie transportiert und festigt genderspezifische Strukturen, teilweise so subtil, dass es uns gar nicht als Setzung auffällt, obwohl die prägende Kraft durch das Herabsinken ins Unbewusste eher noch stärker wird.
Wir propagieren also die Einführung einer neuen Sprache – oder sogar mehr? In einer Reaktion auf meinen gestrigen Artikel zur Notwendigkeit eines digitalen Schulfaches spricht der Bildungspolitiker Richard Ralfs sogar von einer “zweiten kopernikanischen Wende” und einer neuen Dimension der Aufklärung durch die Digitalisierung.
Tatsächlich könnte es um mehr als nur eine neue Sprache gehen. Digitalisier*ung beinhaltet ja bereits die Umwandlung, also nicht nur eine neue Beschreibung der Welt, sondern eine Umwandlung, aus dem Analogen wird ein Digitales. Und aus der oralen Überlieferung eine…digitale.
Zurück zum Bilderbuch. War es vielleicht ein Schauer, der meine Tochter innehalten liess, vor dem Bedienen der digitalen Funktion? Denn tatsächlich hat die Hinterlegung mit digitalen Vogelstimmen nebst Elektronik zur Touch-Auslösung ja etwas perverses – denn ohne dies hätte ich erzählt, was für ein Vogel das ist und sicherlich versucht, das Piepen nachzumachen – ich als Papa, mit meiner eigenen Stimme, mit viel Raum zur Imagination. Stattdessen der perfekt digitalisierte Sound eines Kuckuck, jedesmal exakt gleich, in jeder Kopie des “Buches” irgendwo auf der Welt. Vielleicht wirklich ein passendes Bild dafür, wie das Digitale die Welt auffrisst und zurückverwandelt, nur dass es dann eine standardisierte Simulation ist, mit der wir uns abfinden müssen.
Ich weiss, der Gedankengang wirkt ein bisschen verwegen, ich kann auch damit leben, wenn viele dem nicht folgen können.
Wendet Euch der Digitalisierung zu, umarmt sie. Einer der stärksten Kämpfer für diesen Glauben ist ja Google..äh… Alphabet…? Oh.
Ich denke es lohnt einmal genauer hinzusehen, bevor wir diese Forderung immer wieder runterleiern. Welches Geschlechterverhältnis reproduziert die digitale Sprache? Gibt es gute Anhaltspunkte dafür, dass die digitale Sphäre wenigstens tendentiell ein weniger männerdominiertes Rollenbild transportieren wird? Wie ist das auf Tech-Konferenzen, in den Führungsetagen der Digital-Konzerne und in den digitalen Medien? Müssten wir – wissend aus welchem Schlamassel wir kommen – uns nicht sogar aktiv darum bemühen, dass die digitale Sphäre von einer feministischen Art des Codens geprägt wird, wenn wir das schon für so unvermeidlich halten (was ich tue)?
Ich bin auch kein Gender-Forscher, doch wenn ich mir Programmier-Bücher so ansehe, so ist da viel von “Kontrollstrukturen”, “Variablen-Zuweisung” und generell viel von vermeintlich harter Logik (if this, while true etc.) die Rede. Generell wohnt dem Programmieren die Idee einer Abbildbarkeit der Wirklichkeit in solchen Strukturen inne, zunehmend auch die der Reproduzierbarkeit von Wirklichkeit und Erleben.
Mich besorgt das sehr. Ich habe einfach keinen Bock für die Einführung eines neuen Systems mit geworben zu haben, das am Ende eine noch weniger gerechte und offene Gesellschaft etablieren hilft, als wir sie schon haben. Vielmehr würde ich gerne die Chance genützt sehen, dass wir wohl wirklich an so einer Zeitenwende stehen, wie die griechische Gesellschaft vor 3000 Jahren.
Damals wurde das Patriarchat und die Herrschaft der Ökonomie über die Lebensverhältnisse eingezogen. Können wir diesmal bitte etwas anderes ausprobieren?

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Muss das Baby wissen, wie man Kaffee macht?

January 24th, 2016 — 2:16pm

Heute morgen habe ich mit dem Baby auf dem Arm Kaffee gemacht. Sie ist jetzt 8 Monate alt, und ich hab ihr bei jedem Schritt erklärt, was ich da genau mache. Dabei dachte ich: werden wir je herausfinden, ob es was gebracht hat? Also ob man mit Kindern so früh schon sprechen und ihnen Sachen erklären sollte*?
Nun habe ich ja selbst Psychologie studiert, und kenne demnach die Instrumente, mit denen man solche Fragen wissenschaftlich zu beantworten versucht. Und ich muss auch sagen – die kognitive Entwicklung von (Klein-)Kindern gehörte zu den faszinierendsten Dingen, die ich in der Zeit gelernt habe. Nur – es ist ausserordentlich schwierig, da überhaupt zu validen Ergebnissen zu kommen, vieles wurde in Feldforschung (also nicht ausreichend standardisiert, um Effekte genau zuordnen zu können, zu geringe Fallzahlen) und in Einzelfallbeobachtungen erforscht, der berühmte Kinder-Psychologe Jean Piaget z.b. machte seine wichtigsten Erkenntnisse durch Beobachtung seiner eigenen Kinder.
Das ist ganz ok, aber aus forscherischer Perspektive weit von optimal entfernt. Idealerweise würde man nämlich viele Kinder in ihrer natürlichen Umgebung möglichst genau, möglichst lange (Jahre!), möglichst unbeeinflusst beobachten können – dann wäre evtl. sogar möglich zu beantworten, ob es was bringt mit Babys schon zu plaudern**. Gegen solche Untersuchungsdesigns gibt es viele Einwände, vor allem scheitern sie üblicherweise aus praktischen und ethischen Gründen.
Allerdings könnte sich das in den nächsten 20 Jahren drastisch ändern. Denn in einigen Jahren wird es relativ normal sein, dass ein Haus/eine Wohnung umfassend vernetzt ist. Sensoren in den Wänden, an diversen Maschinen, an unserer Kleidung werden permanent aufzeichnen was so passiert, und vermutlich wird uns irgendwas auch ständig beobachten und belauschen, um ggf. auf die “Fritzi, kannst Du mal bitte…” Frage anzuspringen, und mal eben neue Milch zu bestellen. Bruce Sterling hat dieses Szenario, wo der ganze Raum uns herum zum Interface wird übrigens in einem Vortrag zu Augmented Reality 2013 schon geschildert – und zwar anhand des Leap-Motion Controllers, der in einem bestimmten Bereich recht genau Bewegungen der Hand aufzeichnen kann – mit Microsoft Kinect kann heute bereits ein ganzer Raum in ähnlicher Weise permanent gescannt werden… Die Daten aus diesen Sensor-Arrays werden in einer Cloud von sehr effizienten Algorithmen analysiert – eine Ahnung vermitteln da vielleicht die aktuellen Verfahren, wie sie z.B. in Google Photos eingebaut sind, also Algorithmen (sog. deep learning Netze), die unterschiedlichste Muster in Bildmaterial erkennen, und zuordnen können. Diese intelligente Schicht wird mich dann also beobachten und aufzeichnen, dass ich mit meinem Kind geredet habe, und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch verstehen, was ich gesagt habe. Ausserdem wird sie verstehen, dass ich dabei vor einer Kaffeemaschine stand. So geht es weiter, und das System, nennen wir es mal “Google everywhere”, wird natürlich auch mitbekommen, wann mein Baby die erste Worte sagen wird usw.
Später dann wird es sich mit dem Daten-Hub der Grundschule vernetzen, und auch dort Lernleistungen überwachen und den Lehrern bei der Potential- und Lückenanalyse helfen und vermutlich auch individuelle Inhalte vorschlagen, oder direkt dem Kind anbieten. Übrigens ist auch diese Idee des hochindividuellen Lernen bereits heute in guten Schulen Realität, nur halt noch ohne Daten-Unterstützung.
Also – sobald dieses System hochgefahren ist, wird es tatsächlich möglich sein – zumindest korrelativ – den Einfluss von bestimmten Verhaltensweisen der Eltern auf die kognitive oder sonstige Entwicklung des Kindes zu ermitteln. Durch die hohen Fallzahlen und die ziemlich optimale Erhebungs-Situation (keine Versuchsleiter, kein Labor, keine nachgestellten Situationen etc.) wäre es dann vermutlich mit neueren statistischen Verfahren sogar möglich, recht verlässliche Kausalattributionen vorzunehmen, also wirklich zu sagen: es bringt was mit Babys zu reden. Vielleicht läuft bis dahin aber eh irgendsoein Roboter ganz selbstvertändlich im Haushalt mit, der immer auf Basis aktuellster Erkenntnisse aus der Daten-Cloud auf das Baby einplappert, auch ok.

*dass es für die Bindung und die emotionale Reifung etwas bringt ist klar, das ist auch schon ausreichend gut erforscht. Mir gehts hier vor allem um die sprachlich-kognitive Entwicklung
**streng genommen wären “experimentelle Settings” ideal, also zufällige Einteilung von Kindern in Treatment-Gruppen und mit der einen Gruppe wird geredet, mit der anderen nicht und eine dritte bekommt nur Unsinn erzählt. Das ist nur aus ethischen Gründen nicht durchführbar.

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